2013 wird neben Wagner auch der 200. Geburtstag seines italienischen Zeitgenossen Verdi gefeiert. Am 17. Februar hat “La Traviata“ Premiere an der Staatsoper.

Hamburg. Als Giuseppe Verdi (wieder mal, denn man war schließlich in Italien) für seine letzte Oper "Falstaff" zum größten lebenden Komponisten ernannt wurde, bürstete der 80-Jährige die Bewunderer, wie es so seine Art war, unwirsch ab: "Nein, nein", widersprach der Altmeister der Lorbeerbehängung, "lassen Sie den großen Komponisten aus dem Spiel. Ich bin ein Mann des Theaters." Das stimmt, ist aber auch nur die halbe Wahrheit.

Verdi war vor allem ein begnadeter Dramatiker, nur eben mit Noten. Ihn faszinierten alle Konflikte, die Gegner oder Liebende, da sind die Grenzen mitunter fließend, aufeinander zurasen lassen. Oder sehenden Auges ins Verderben.

Halbgare Libretti, vor denen er im Laufe seiner langen Karriere nicht immer gefeit war, brachten die Qualitäten seiner Musik ins Taumeln; je radikaler die Geschichten, je weniger Konvention sie enthielten, desto besser das Ergebnis. Genialer Melodiker und Ensemble-Handwerker, der Verdi schon früh war, wollte er stets auch belehrend unterhalten. Und gerade weil er so virtuos mit den damals gängigen Strickmustern der italienischen Opernkonstruktion umgehen konnte, die sein Publikum verstand und goutierte, war sein Erfolg an der Abendkasse trotz vereinzelter Rückschläge so anhaltend.

Dass Verdi 2013 oft mit Wagner verglichen wird, nur weil er 1813, im selben Jahr wie der von ihm diskret und skeptisch aus der Ferne begutachtete Deutsche, geboren wurde, tut beiden Genies keinen Gefallen. Zu unterschiedlich sind ihre Stile, zu eigen ihre Blicke auf die Gefühlswelten, denen sie Bühnen und Stimmen geben. Der ständig klamme Revoluzzer aus Dresden und der steinreiche Landgutbesitzer und Kgl. Senator sind sich nie begegnet. Ob die so gegensätzlichen Charaktere sich außer Höflichkeitsfloskeln viel zu sagen gehabt hätten, darf bezweifelt werden.

"Traurig! Traurig! Traurig!", schrieb Verdi an seinen Verleger Ricordi zwar, als er 1883 von Wagners Tod in Venedig erfuhr. Von Cosima Wagner hingegen ist ein nicht direkt freundlicher Tagebucheintrag aus Wien, 1875, überliefert: "Abends das Requiem von Verdi, worüber nicht zu sprechen entschieden das Beste ist."

Verdi wird als zugänglich geliebt, Wagner oft als elitär gebrandmarkt. Psychologisch enorm komplex und gleichzeitig unerschütterlich populär sind erstaunlicherweise beide. Wagner arbeitete missionarisch und egozentrisch auf das Gesamtkunstwerk und eine selbst gedrechselte Kunstreligion hin, bei der sich Geist und Moral auf einer höheren Sphäre der Erkenntnis trafen. Der bodenständigere Praktiker und oft pessimistische Realist Verdi wollte die Seele jedes Einzelnen im Dunkeln des Opernhauses erobern, ohne sich deswegen von Sänger-Eitelkeiten bremsen zu lassen oder sich plump an den Massengeschmack zu verkaufen. "Das Wahre nachzuahmen kann gut sein. Aber das Wahre zu erfinden, ist besser, viel besser." Seinem "Macbeth"-Librettisten befahl er als dramaturgische Ideallinie "Kürze und Erhabenheit!". Mehr wäre für ihn weniger gewesen. Das Lebensgefühl und die gesellschaftlichen Spannungen des späten 19. Jahrhunderts, die bei ihm immer mitklangen, waren schon komplex genug.

Diesseits der Alpen waren nicht alle Zeitgenossen durchweg begeistert von dem, was ihnen zu Ohren kam. Der berüchtigte Wiener Kritiker Hanslick lästerte noch 1875: "Verdi ist bei all seiner Intelligenz eine gemeine Natur. Er hält es keine 50 Takte aus, ohne einer Trivialität zu verfallen." Und nach einem Opernbesuch 1886 in Florenz schrieb der junge Richard Strauss gallig: "Gestern Abend Aida, scheußlich. Indianermusik."

Der Zielscheibe dieses Spotts konnten solche Anwürfe da schon herzlich egal sein. Sein Schicksal als strebsamer Junge aus einfachen Verhältnissen in der norditalienischen Provinz hatte sich bereits am 9. März 1842 an der Mailänder Scala entschieden. "Va pensiero, sull'ali dorate", der Beginn des Gefangenenchors aus "Nabucco", "Flieg, Gedanke auf goldenen Flügeln", sang seinen Landsleuten, die unter der Besatzung durch die verhassten Habsburger litten, unmittelbar aus dem Herzen. Einer von vielen patriotischen Mythen, die sich um Verdi rankten, machte daraus das Sehnen eines geteilten Volks nach einer geeinten Nation. Bühne und Wirklichkeit sollten eins werden und bleiben.

Während seiner elf "Galeerenjahre", die folgten, schrieb Verdi sehr viel, 15 Opern, und nicht alles davon war sehr gut. Aber von 1851 bis 1853 schuf er gleich drei Meisterwerke hintereinander: "Rigoletto", "Il Trovatore" und "La Traviata", die "trilogia popolare". Drei Volltreffer ins Herz, drei in jeder Hinsicht anspruchsvolle und fordernde Opern, deren große Nummern das Publikum, wie es ein Kritiker umschrieb, "einschlürft, als wären es Austern für die Seele". Insbesondere die Geschichte der schwindsüchtigen Violetta, für deren Vertonung Verdi gerade mal fünf Wochen benötigte, hat es der Musiktheater-Kundschaft angetan. Bei Umfragen nach den größten Repertoire-Lieblingen liegt "La Traviata" regelmäßig auf dem Spitzenplatz. Der Premieren-Flop der ersten Fassung ist längst nur noch Programmheft-Anekdote.

Verdis tragische Opern-Heldinnen und -Helden waren immer wieder Außenseiter, Menschen neben den erlaubten Normen, die er besonders gern in übel endenden Dreieckskonstellationen stellte. Nicht ohne tieferen Grund verwarf Verdi den arg generellen Titel "Amore e morte" (Liebe und Tod) zugunsten von "La Traviata" (Die vom Weg Abgekommene).

"Ich wünsche neue, grandiose, abwechslungsreiche, kühne Stoffe ... kühn bis zum äußersten, mit neuartigen Formen und zu gleicher Zeit vertonbar", so schrieb Verdi kurz vor der "Trovatore"-Premiere an einen Freund. Je älter, versierter und routinierter er wurde, desto schwerer tat sich Verdi mit der Umsetzung dieser Ansprüche an sich selbst. Von "Don Carlos", der ihn mit Unterbrechungen fast 20 Jahre lang beschäftigte, sind nicht weniger als sieben Fassungen überliefert. Am Vorsatz, Shakespeares "Lear" zu vertonen, scheiterte Verdi schmerzhaft, dieses Scheitern auf höchstem Niveau war seine größte Tragödie.

Der "Falstaff", Schlussstrich und wohl auch Höhepunkt nach mehr als zwei Dutzend Opern, endet mit der berühmten Schlussfuge, "Tutto nel mondo è burla." "Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch ein geborener Tor, und bemüht er sich, weise zu werden, ist er dümmer noch als zuvor."

Dass Verdis Mailänder "Casa di riposo per musicisti", ein Altersheim für Musiker, für ihn das Beste war, was er der Nachwelt hinterließ, passt zu diesem ironischen Abschied von der Opernbühne. Verdi starb am 27. Januar 1901 in Mailand. Bei der Beerdigung des Nationalhelden verabschiedeten sich 300.000 Menschen von ihm und an der Spitze des Leichenzugs gab ihm ein 900-köpfiger Chor das letzte Geleit, der unter Leitung von Arturo Toscanini das längst unsterbliche "Va pensiero" sang.

Die Staatsoper zeigt am Sonntag (17. Februar) die Neuinszenierung von "La Traviata" (Regie: Johannes Erath), es dirigiert Patrick Lange, die Hauptrolle singt Aylin Pérez. Unter der Überschrift "Opera concisa" hat die Opernklasse der Musikhochschule eine Gala mit Arien und Szenen von Verdi und Wagner erarbeitet, die heute und am Sonntag im Hochschulforum zu sehen ist. Ein größerer Schub Begleitliteratur dürfte im Herbst auftauchen, zum 200. Geburtstag am 9. November. In der nächsten Woche erscheint "Liebestod. Wagner, Verdi, wir" (Hoffmann & Campe), in dem Holger Noltze Leitmotive beider Komponisten erläutert. Günstige Einstiegsdroge ist die 21-CD-Box "Great Operas from La Scala" (DG, 2009) mit acht Opern und Requiem. Und für Fans von Maria Callas führt kein Weg am "Traviata"-Mitschnitt mit Giulini aus der Scala von 1955 (EMI) vorbei.