Die Schauspieler Désirée Nosbusch und Roman Knizka gastieren im St. Pauli Theater mit Herbert Knaups Inszenierung “Tag der Gnade“.

Berlin. Davon, sein Leben einfach hinter sich zu lassen, träumt man gelegentlich. All die lästigen Pflichten, die unangenehmen Gespräche, die hässlichen Zumutungen, sie wären mit einem Mal Vergangenheit, nicht mehr wichtig. Doch "du würdest dann deine Töchter nie wiedersehen, du wärst nicht bei ihrer Abschlussfeier", sagt Abby zu Ben, der sie in Neil La Butes Zwei-Personen-Stück "Tag der Gnade" gerade aufgefordert hat, mit ihm abzuhauen, ein neues Leben zu beginnen.

Die Gelegenheit scheint günstig. Am Tag zuvor sind die Twin Towers zerstört worden. Tausende von Menschen wurden getötet, viele werden noch vermisst. Abby und Ben hätten eigentlich in den Türmen sein sollen. Das Apartment, in dem sie sich treffen, ist nicht weit vom Ort des Angriffs entfernt. Noch hat sich keiner der beiden zurückgemeldet, niemand weiß, wo sie sind. Abby und Ben sind ein Liebespaar. Heimlich. Denn Ben ist verheiratet. Es scheint ihm verlockender, aus seinem Leben zu flüchten, als eine Aussprache mit seiner Ehefrau zu suchen und den beiden kleinen Töchtern eine hässliche Trennung zuzumuten.

So weit die Ausgangssituation im Stück des Amerikaners La Bute, der zu Beginn des Jahrtausends zu den meistgefragten Dramatikern zählte. Seine Stücke, darunter "Bash" oder "Das Maß der Dinge", wurden an vielen deutschen Theatern gespielt. Im vergangenen Jahr hat Désirée Nosbusch Neil La Butes "Tag der Gnade" aufgestöbert und war sofort sicher, dass sie die Abby spielen will. Herbert Knaup, ihr Schauspielkollege, sollte Regie führen und mit Roman Knizka, einem klassischen Romeo-Darsteller, war schnell der Dritte gefunden.

Als Knaup und Nosbusch an einem kalten Vormittag ins gut gewärmte Café des Berliner Literaturhauses kommen, sehen sie sehr vertraut miteinander aus. Herbert Knaup hat ja immer auch ein bisschen was vom Typ Herzensbrecher, Désirée Nosbusch bleibt wohl weit über die übliche Zeit das fröhliche junge Mädchen. Beiden kann man also nur schwer widerstehen.

"Mich hat am Stück fasziniert, dass darin zwei Menschen durch eine Katastrophe aneinandergefesselt sind. Wie in einem Käfig. Wie entkommt man dem?", fragt sich Désirée Nosbusch und ergänzt: "Aus meiner Lebenserfahrung weiß ich, dass Männer und Frauen sehr unterschiedlich mit Konflikten umgehen. Männer vermeiden gern unangenehme Auseinandersetzungen. Frauen sagen oft, man könne nicht vor Konflikten fliehen." Und sie weiß: "Man nimmt ja seine Probleme immer mit, egal wohin man geht."

Das Terrorereignis ist durch das ständige Läuten des Handys präsent. Das Läuten verbindet das Abgeschottetsein in der Luxuswohnung mit dem Chaos draußen und zwingt Abby und Ben, sich über ihr eigenes Leben, ihre Beziehungen zueinander und ihre Haltungen zum Terrorereignis klar zu werden. Das Klingeln des Telefons ist Anklage und Warnung gleichermaßen. Draußen sind die Türme eingestürzt, drinnen herrscht Beziehungskrieg. "Ben möchte nicht rangehen, weil er Abby liebt", sagt Knaup. "Abby liebt Ben auch, aber nur, wenn er ein Mann ist und seiner Frau alles gesteht. Nicht, wenn er sich heimlich mit ihr davonschleicht."

Abby ist älter als Ben und seine Chefin. Was Ben leugnet: "Ich arbeite nicht unter dir, ich arbeite mit dir." Aber Ben lügt sich und anderen auch gerne etwas vor, wie Désirée Nosbusch sagt: "Sein Leben mit der Familie ist eine Lüge, sein Tod auch. Ich glaube nicht, dass man sein Glück auf einer Lüge aufbauen kann." Für Ben ist "Nine-Eleven" nichts als eine Chance, sein verfahrenes Leben, ohne große Anstrengung, ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer, insbesondere seiner Frau und seiner Kinder, zu "ordnen", ihm eine neue, "bequeme", angenehme Richtung zu geben. Das Stück endet mit einer überraschenden Wende.

Ben und Abby wissen sehr genau, wie und wo sie dem anderen wehtun können. "Ich bin da wohl weiblich", erklärt Herbert Knaup lächelnd, "ich finde, dass Abby recht hat. Sie ist eigentlich ein härterer Typ. Als Regisseur wollte ich von Désirée, dass Abby durchlässig bleibt, weich."

Désirée Nosbusch hat Schauspiel gelernt. Aber zum ersten Mal steht sie in einer so großen Rolle auf der Bühne. Die Luxemburgerin hat die Premiere der Inszenierung am Grand Théatre de Luxembourg gefeiert. Nun gastiert sie damit in Hamburg und Berlin. "Ich hatte nur den Mut, das Stück an einem Ort zu spielen, an dem ich mich frei fühle", sagt Nosbusch. Hamburg ist nun eine andere Herausforderung, zumal, wie sie sagt, sie nicht mit allzu großem Selbstvertrauen gesegnet sei. Nicht ungewöhnlich bei Schauspielern. Bei jemandem wie Nosbusch, die seit Kindertagen im Rampenlicht steht, unerwartet.

Auch Herbert Knaup kennt Lampenfieber, als Schauspieler ist er oft im Film, Fernsehen und Theater zu sehen, als Regisseur ist er Neuling. "Es war für mich ein Abenteuer zu inszenieren. Aber ich kann sehr gut beobachten, ich weiß, wo die Kraftfelder der Schauspieler liegen. Wenn ich selbst spiele, habe ich eine gewisse Erfahrung darin, wie etwas wirkt. Ich wollte als Regisseur allerdings nie vorspielen, wie sie etwas machen sollen, das würde die Kollegen blockieren. Man muss aushalten, dass sie etwas finden."

Die Bühne, das behaupten beide, die doch gelegentlich ein Millionenpublikum im Fernsehen haben, "ist die eigentliche Heimat des Schauspielers. Das Tollste ist die Wechselwirkung mit dem Publikum." Manchmal müsse man nur zwei Sätze sagen, findet Knaup. "Alles ist still und ich habe das Gefühl, die Zuschauer atmen mit mir mit, gehen die Verwandlung mit. Das ist der schönste Moment." Désirée Nosbusch sagt: "Ich habe großes Vertrauen zu Herbert. Ich habe mich total auf ihn verlassen. Wir haben uns auch sehr gezofft. Einmal hätte ich fast aufgegeben. Aber so etwas gehört dazu." Und auf die Frage, ob es ein Vorteil sei, mit einem Regisseur zu arbeiten, der Schauspieler ist, lächelt sie. "Es ist ein Vorteil, mit einem Regisseur zu arbeiten, der Schauspieler mag."

"Tag der Gnade" St. Pauli Theater, 14., 15. Feb., jew. 20 Uhr, Karten ab 18,90, T.: 47 11 06 66

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