In der Stadtteilschule Bergedorf produzieren die Jugendlichen Beiträge für eine halbstündige Sendung

So sieht also die Zukunft aus. Mal vorausgesetzt, dass in der Schule der entscheidende Schubs gegeben wird für die spätere Berufswahl. In diesem Fall: für den Journalismus. Mehr als 150 Schülerzeitungsredakteure von rund 40 Zeitungen von Gymnasien, Stadtteilschulen und Berufsbildenden Schulen drängelten sich kürzlich im von Sonnenstrahlen plus Kronleuchterlicht hell gefluteten Rathaussaal, als Moderator Johannes B. Kerner gemeinsam mit Schulsenator Ties Rabe die Theater-App "Theatix" vorstellte. Ein Pressetermin für den schreibenden Nachwuchs.

"Anonym", "Bergstedter X-Press" und "Blattsalat" heißen Plattformen, auf denen sich die Schüler mit Wörtern austoben - ihre Stimme erheben, sich eine Meinung über Trends wie die neue Schüler-App bilden. Und im Idealfall als Sprachrohr einer Generation dienen. Kein anderes Medium ist so nah dran an den Wünschen und Interessen der Jugend wie die Schülerzeitung. Weshalb die Frage naheliegt: Wie sehen diese Zeitungen heutzutage eigentlich aus?

Die wohl ungewöhnlichste Herangehensweise an das Thema hat die Stadtteilschule Bergedorf gewählt, mit mehr als 1500 Schülern eine der größten Schulen Hamburgs. CreaTIVI nennt sich die Profilklasse für Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Klasse, bei dem das Ziel kein gedrucktes Heftchen ist, sondern eine Schülersendung. Mit journalistischen Beiträgen, Interviews, Umfragen, Moderationen. Insgesamt eine halbe Stunde lang. Ein Zukunftsmodell? Oder nur eine besonders kreative Art, eine Schülerzeitung im Internetzeitalter und angesichts der Übermacht von Handyfotos und Onlineticker einen Schritt voranzutreiben? Vielleicht beides.

Christina ist in dieser Woche Gruppenleiterin. Also Chefredakteurin. Es ist 9.30 Uhr, Konferenzzeit. Die rund 20 Schüler sitzen um eine Tischgruppe und besprechen die Themen, die Sendung, den Stand der einzelnen Beiträge. "Wir bekommen keine Themen vorgeschrieben, sondern überlegen uns selbst, was Leute in unserem Alter interessiert, zum Beispiel Bands oder Schauspieler", sagt Christina. Für die neue Sendung sind das etwa ein Markencheck von Kartoffelchips (billig kontra werbegepusht) und ein Vergleich von Retrogames und modernen Computerspielen. Aber auch weniger bunte Themen werden in der Sendung behandelt, Mobbing etwa oder Ehrenmord. "Von der Idee zum Song" heißt der Beitrag, um den sich Igor mit zwei Klassenkameraden kümmert. "Ich kenne einen afghanischen Star, der hat eine eigene Band und ein Aufnahmestudio. Könnte ich anrufen", sagt er. Ist gekauft. Igor hüpft vor seinen Computer und schreibt eine E-Mail.

Es ist ein freies Arbeiten, das die Lehrerinnen Kerstin Schröter und Tina Repp mit den Webreportern und den CreaTIVIs praktizieren. "Deshalb haben wir uns auch gegen eine klassische Schülerzeitung und für das weniger starre Format der Sendung entschieden", sagt Schröter, die früher selbst als Journalistin gearbeitet hat. Wenn ein Beitrag nicht rechtzeitig fertig wird - was selten passiert -, erscheint er eben in der nächsten Sendung. Wenn ein Stück länger als die üblichen zwei bis drei Minuten dauert, stört es auch niemanden. Die Beiträge werden (teilweise) auf die Website der Schule gestellt, die besten außerdem im jungen Stadtsender Tide TV ausgestrahlt. Nun ist es nicht so, dass Zeitunglesen in Bergedorf als nicht zeitgemäß angesehen wird, im Gegenteil. Eine Stunde pro Woche verbringen Schröter und die Schüler mit dem Lesen aktueller Tageszeitungen. Mit Sprache und Textaufbau. "Denkt daran: Jeder Beitrag beginnt auf dem Papier, nicht vor der Kamera", sagt sie an diesem Vormittag in die Runde.

Dann legen die Jungredakteure los. Jan und Anna Lena machen ein Interview mit der Berufsberaterin Barbara Oppermann. Der Beitrag dreht sich um den (vermeintlichen) Traumberuf Schauspieler. "Setzen Sie sich bitte mal vor die Tafel", sagt Anna Lena. Frau Oppermann gehorcht. "Und gucken Sie direkt an der Kamera vorbei", sagt Jan, der mit hinter der HD-Kamera kniet. Klare Ansagen. Wer gut vorbereitet ist, hat hinterher weniger Arbeit, auch das haben die Schüler im Kurs gelernt. Anna Lena schaut häufig auf das Blatt in ihrer Hand, stellt die Fragen aber flüssig, ohne Stottern. Und Barbara Oppermann gibt ihr Bestes. "Es reicht nicht, wenn man der Familienclown ist. Man sollte sein Talent schon mal in einem Theaterworkshop erprobt haben", sagt sie. Vielleicht bekomme sie noch ein Interview mit einem Darsteller aus dem "Rocky"-Musical, sagt Anna Lena beim Hinausgehen. Dann wäre der Beitrag eine runde Sache.

Zurück im Klassenraum stülpt Jan seine Kopfhörer über und lässt das Interview in ein Videoschnittprogramm laufen. Ton bearbeiten, schneiden, das mache ihm am meisten Spaß, sagt er. "Ist aber auch die meiste Arbeit." Jeder findet seine Nische beim Produzieren der Sendung, ob vor der Kamera oder dahinter. Jeder ein Thema von Bubble Tea bis zur neuen Turnhalle der Schule, das sein Interesse weckt. Der Kurs nähert sich dem Ende. Auf den Tischen häufen sich Storyboards, Müsliriegelpapier, Handcreme mit Mangogeruch und Computersticks. Keiner von ihnen vermisse eine "normale Schülerzeitung", sagt Christina, die Gruppenleiterin. Warum auch? Hier können die Schülerinnen und Schüler mit Bild und Ton sagen, was ihnen am Herzen liegt. Sich ausprobieren und die richtige Form für ein Thema finden.

Im Rathaus übrigens haben die CreaTIVIs keinen Beitrag gedreht. Stattdessen haben die Schüler Johannes B. Kerner überredet, ihn bei einer Sportmoderation zu begleiten. Er scheint jedenfalls genau zu wissen, was er will, der Nachwuchs-Journalismus.