Der Katalane Jordi Savall und seine Originalklang-Ensembles eröffnen das Musikfestival “Lux aeterna“ am Sonnabend mit “Marienvesper“

St. Michaelis. Wenn ein Musiker im Laufe seiner Karriere mehr als 100 Schallplattenaufnahmen gemacht hat, dann mag manche darunter sein, an die er sich kaum mehr erinnert. Andere haben vielleicht seinen Durchbruch befördert, und er spricht von ihnen wie von Kindern. Jordi Savall, 71, der große katalanische, polyglotte Gambist und Dirigent alter Musik vorzugsweise aus dem Mittelmeerraum, bietet für seine Einspielung der "Marienvesper" von Monteverdi eine andere, überraschende Metapher aus dem Familienalbum an. Diese Aufnahme sei die Eheschließung gewesen mit einem Werk, in das er sich schon lange vorher verliebt habe.

Monteverdi komponierte seine "Vespro della Beata Vergine" in Mantua, seiner damaligen Wirkungsstätte, und gab sie dort 1610 in Druck. Sie gilt als Solitär der Musikgeschichte zwischen Renaissance und Barock, ein epochales, stellenweise anstrengend zu hörendes Meisterwerk. Kaum ein Ensemble für alte Musik von Rang, das diese Sammlung aus Monodien und vielstimmigen Gesängen nicht im eigenen CD-Portfolio hätte. Am Sonnabend führt Jordi Savall zur Eröffnung des Hamburger Festivals "Lux aeterna" die "Marienvesper" mit den beiden von ihm gegründeten Ensembles Le Concert des Nations und La Capella Reial de Catalunya sowie neun Vokalsolisten in der Hauptkirche St. Michaelis auf.

Könnte man mit einem Packen uralter Noten wirklich einen Bund fürs Leben schließen, wäre das Jahr 2013 das Jahr von Savalls Silberhochzeit. Das hypothetische Fest bekommt allerdings einen todbitteren Beigeschmack, wenn man weiß, dass er seine Frau Montserrat Figueras schon vor 45 Jahren heiratete und dass sie vor vierzehn Monaten gestorben ist. Wer Jordi Savall heute erlebt, diesen ohnehin etwas melancholisch wirkenden Künstler mit der sanften Stimme und dem freundlichen Blick, der ahnt, dass ihm in seiner anhaltenden tiefen Trauer um seine engste menschliche Gefährtin im Leben und in der Kunst nicht nach Feiern zumute ist. Nach Trost und Aufrichtung in der Musik umso mehr.

Verliebt in Monteverdis Lobpreisung der Gottesmutter habe er sich schon als Gambenstudent an der Schola Cantorum Basiliensis, der feinsten Akademie für Alte Musik in Europa, erzählt Savall. Von Basel aus, wo er 1968 zu studieren begann, ging der gelernte Cellist mit einem Heißhunger auf alte, unerforschte Klänge vor der Barockzeit los. Bis er die "Marienvesper" schließlich aufnahm, selbstverständlich in Mantua, unter Ausnutzung des genius loci, habe die leidenschaftliche Beziehung zu dieser Musik vielerlei Veränderungen durchlebt. Seither führt Savall sie Jahr für Jahr auf, mindestens zwei oder drei Mal. "Diese Ehe ist sehr stabil", sagt er. "Voller Reife und Freiheit."

Dass das erzkatholische Werk in Hamburg in einer protestantischen Kirche erklingen wird, stört einen großen Geist wie den Savalls nicht. "Auch die h-Moll-Messe von Bach oder Mozarts Requiem weisen weit über religiöse Konzepte hinaus", sagt er. "Da wirkt die Spiritualität an sich stärker als die Farbe der jeweiligen Religion."

Mit dieser Einschätzung dürfte Savall dem Intendanten der Elbphilharmonie und Initiator des "Lux aeterna"-Festivals, Christoph Lieben-Seutter, aus der Seele sprechen. Die Namen und Konzepte, die Lieben-Seutter für die vierwöchige Reihe mit ihren 23 Konzerten eingekauft hat, sollen nicht der Frömmigkeit im Namen eines einzelnen Glaubensbekenntnisses dienen. Das "ewige Licht" Gottes mag terminologisch katholisch sein; doch es scheint nicht exklusiv nur in die Fenster christlicher Kirchen hinein, in Moscheen oder Synagogen oder buddhistische oder hinduistische Tempel oder auf afrikanische Kultplätze. Vielmehr erleuchtet das "Lux aeterna" das Herz jedes Menschen, der sich dafür empfänglich zeigt, auch wenn er kaum je ein Gotteshaus betreten mag. Spirituelle Musik, gleich welcher Kultur, will den Menschen zu seinem höchsten geistigen Potenzial erheben; es ist an ihm, diesen Transport geschehen zu lassen - oder davon Abstand zu halten und lieber zu beobachten, wovon sich Geist und Seele anderer Menschen bis in die Transzendenz ergreifen lassen.

Leider schlugen die "Lux aeterna"-Macher auch schon lang projektierte Konzerte wie das der malischen Sängerin Fatoumata Diawara, den Elektroabend mit dem britischen Vinyl-Komponisten Philip Jeck oder in den kalendarischen Rahmen fallende Abo-Konzerte flugs ihrem Festival zu. Das hinterlässt auf der sonst so pointierten Dramaturgie unnötig stumpfe Flecken. Monteverdis ewig schönes Gotteslicht aber wird Jordi Savall mit seinen Musikern derart zum Funkeln bringen, dass die Helligkeit in den Seelen der Zuhörer anhalten wird weit über die Dauer des Festivals hinaus.

Jordi Savall, Le Concert des Nations und La Capella Reial de Catalunya "Marienvesper", Sa 2.2., 20.00, Hauptkirche St. Michaelis (S Stadthausbrücke), Englische Planke, Tickets zu 9,- bis 65,- unter T. 35 76 66 66