Furor der Gegenwart. Die Autoren Nina Bossong, Philipp Schönthaler und Dirk Kurbjuweit lesen jetzt aus ihren neuen Büchern.

Literaturhaus. Die Angst kann ganz langsam in einen hineinkriechen und dann dableiben, sich einnisten und das Denken und Fühlen vergiften. In seinem neuen Roman gelingt es Dirk Kurbjuweit, eine Atmosphäre der permanenten Bedrohung herzustellen. Das Buch heißt "Angst" (Rowohlt Verlag)und handelt von einem Stalker, der die Tiefenthalers tyrannisiert. Ein "richtiger" Stalker, der einem auflauert und nachläuft, ist Herr Tiberius allerdings nicht, zumindest insofern, als er im Souterrain des Hauses lebt, in dem auch die Familie wohnt. Er ist immer da, und es gruselt einen, wenn man sich vorstellt, er lebte bei einem selbst im Haus.

Kurbjuweit liest Dienstagabend im Literaturhaus aus seinem handwerklich gut gemachten Psychothriller und beschließt damit einen literarischen Wochenstart, der sich sehen lassen kann: An diesem Montagabend sind bereits Nora Bossong und Philipp Schönthaler in dem literarischen Salon "Seitensturm" von Jochen Brachmann zu Gast, zwei vielversprechende Jungautoren, die von sich reden gemacht haben.

Geredet wurde in den vergangenen Jahren hierzulande immer wieder über die Stalker ("Nachsteller"). Seit einigen Jahren gibt es ein Urteil, das die Rechte der Opfer stärkt. Trotzdem sind da rechtliche Grauzonen; Randolph Tiefenthaler, aus dessen Perspektive Kurbjuweit die albtraumartige Geschichte erzählt, schafft es jedenfalls auch mithilfe einer Anwältin nicht, den gestörten Mieter loszuwerden.

Der lauert seiner Frau auf, schreibt Liebes-, später Drohbriefe, in denen er, das Heimkind, die liebevollen Eltern des sexuellen Missbrauchs bezichtigt. Die Eheprobleme von Randolph Tiefenthaler und Rebecca, so heißt seine Frau, vergrößern sich zunächst aufgrund dieses Einbruchs des Widerwärtigen in die bürgerliche Beinah-Idylle. Später heilen die Beziehungswunden irritierenderweise gerade wegen der Bedrohung. "Angst" ist auch ein Eheroman und die Studie über eine Vater-Sohn-Beziehung: Denn wie die Tiefenthalers den Feind im eigenen Haus loswerden, steht (vermeintlich) schon auf den ersten Seiten von "Angst", die überragend sind: Tiefenthaler besucht seinen Vater im Gefängnis, dort sitzt er wegen Mordes - an Tiberius, dem Stalker. Der Vater, ein Waffennarr, übte Selbstjustiz im Namen des Sohnes.

Womit Kurbjuweit ein weiteres Thema der Gegenwart aufgreift: den Waffenbesitz von Privatleuten. Kurbjuweit ist im Übrigen ein bemerkenswerter Autor, Verfasser von sechs wohlwollend aufgenommenen und teilweise verfilmten Romanen und im Hauptberuf Journalist in Berlin ("Der Spiegel").

Nora Bossong lässt sich in ihrem neuen Roman "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" (Hanser Verlag) ebenfalls vom Furor der Gegenwart treiben. In einer Zeit, in der "die Krise" alle Wirklichkeit überwölbt (Stichworte Euro-Krise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise), ist es nicht die schlechteste Idee, einen Wirtschaftsroman zu schreiben.

Oder sagen wir besser: einen Roman, in dem die Wirtschaftswelt eine gewisse Rolle spielt. Die Regeln und Abläufe eines Unternehmens werden in "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" ja nur am Rande geschildert. In dem dritten Roman von Bossong geht es um ein Essener Familienunternehmen, das mit Frottee-Waren handelt. Tietjen und Söhne lebt von der ruhmreichen Vergangenheit, in der das kaiserliche deutsche Heer, das nicht nur Stahl brauchte, mit Stoff versorgt wurde. Es ist die junge Luise, die nach dem Verschwinden des Vaters den Laden wieder auf Vordermann bringen muss - was immer man über die junge Generation, die doch angeblich eine begünstigte ist, weil sie die Reichtümer der vorhergehenden erbt, bislang weiß, wird hier widerlegt. Innerlich verhärtet Luise beim Existenzkampf.

Am besten ist es bekanntlich ganz oben, aber wer gelangt da schon hin, an die Spitze? Philipp Schönthalers Buch trägt den schönen Titel "Nach oben ist das Leben offen" (Matthes & Seitz) und versammelt elf Erzählungen des 1976 geborenen Autors. Sie alle handeln, mehr oder weniger, von den leistungsoptimierten Menschen, die unsere Konkurrenzgesellschaft bevölkern. Kurbjuweit, Bossong, Schönthaler: drei Autoren, die unsere Gegenwart mit klarem Blick vermessen.

Dirk Kurbjuweit Di 29.1., 19.30, Literaturhaus (U Mundsburg, Bus 6, 172, 173), Schwanenwik 38, Karten zu 6,- bis 10,-

Nora Bossong/Philipp Schönthaler Mo 28.1., 19.30, Ernst Deutsch Theater (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten zu 8,- bis 12,-