“Don Giovanni“-Premiere trotz kleiner Schwächen umjubelt. Kurzes Finale wirkte eher wie ein erster Entwurf für ein tragendes Konzept.

Hamburg. Früher oder später kriegen sie einen ja doch am wehrlosen Herz gepackt, diese "Don Giovanni"-Melodien. Wenn jemand - egal ob Mann, Frau, adlig, bürgerlich, verliebt, verlobt, verheiratet - dort steht und sich mit ihnen die Seele aus dem Leib singt, ganz einfach, zeitlos, unopernhaft. Dafür braucht es keine Kostüm-Orgien, keine Originalklang-Seminare, auch keine Rabatz-Exzesse wie jene, mit denen Doris Dörrie den Klassiker in der Staatsoper gegen die Wand fuhr. Es braucht für einen 30 Jahre jungen Regisseur ohne Angst vor Fallhöhe nur die Aufrichtigkeit, über den Genius des damals Gleichaltrigen zu staunen und zu sagen: Mozart. Alter, woher weißt du das alles? Woher holst du das alles?

Am Thalia eröffneten Antú Romero Nunes, dem das Haus einen flotten "Merlin" verdankt, und sein Komponist Johannes Hofmann die Lessingtage mit ihrem Remix von Mozarts "Don Giovanni", dessen Titel sie mit der Rausschmeißer-Ansage "Letzte Party" erweiterten und als "Eine Bastardkomödie" bezeichneten. Damit klar ist, dass sein blaues Blut einen Don wie Giovanni nicht vor niederen Instinkten schützt. Bühnenbildner Florian Lösche stellte dieses Experiment nach Noten als entfernten Verwandten von Puchers "Sommernachtstraum"-Inszenierung und Wilsons "Woyzeck" auf einen radikal leer geräumten Präsentierteller. Vielleicht war es ein Referenzchen ans Europa-Thema des Theaterfestivals, dass die Anordnung der virtuos schwenkbaren Scheinwerfer-Ringe an die Sterne auf der Europa-Flagge erinnerte. Sah aber auch als reiner Zufall immer toll aus, weil es die Konzentration aufs Wesentliche bündelte. Meistens also auf die Musik und die Menschen-Darsteller dahinter. Obendrauf noch etwas Theaternebel als Effekt-Make-up und ab dafür, rein ins pralle Vergnügen unterhalb der Gürtellinie. Irgendwie müssen die Tausende von Frauen ja zusammenkommen, die Leporello (Mirco Kreibich) auf der Flachleger-Liste seines Chefs herunterleierte.

Nunes hatte sich für seine Trieb-Jagd, dieses Stellungsspiel sehr frei nach Mozart, ein Ensemble ohne klassische Stimmen zusammengestellt, die mit diesem vermeintlichen Manko genüsslich kämpften, und eine Freestyle-Textfassung erstellt, die ebenso amüsant war wie direkt. Annabelle Witt steckte die Truppe in Kostüme, die grell zwischen Westwood-Punk und Rokoko-Anmut changierten und - passend zum Thema - insbesondere bei Giovanni und seinem Vollzugslakaien Leporello mehr entblößten als verhüllten. Und Hofmann umrahmte das Ganze mit der Musik einer siebenköpfigen Cabarét-Band um die Sängerin Catharina Boutari, die ihre Tom-Waits-Hausaufgaben gut gemacht hatte.

Sebastian Zimmlers Giovanni ließ auf der Bühne und auch im Parkett nichts anbrennen, Maja Schöne als Donna Anna und Cathérine Seifert als Donna Elvira glänzten in ihren Rollen, die Nunes immer wieder vom Himmelhochjauchzenden ins Zutodeverliebte abstürzen ließ. Mit Bruno Cathomas als Masetto und Gabriela Maria Schmeide als Bauerntölpel-Paar Masetto und Zerlina waren zwei bewährte Slapstick-Haubitzen dabei, während der Don Ottavio von André Szymanski als Netter vom Dienst tragisch erfolglos blieb. Herz und Schmerz waren in den zweieinhalb Stunden raffiniert verteilt auf das zu Recht gefeierte Ensemble.

Das reine Musik-Theater-Glück, die pure Mozart-Wonne also? Das nun auch nicht. Die seichten Stellen von Nunes' Regie, für die es am Ende fast unisono Beifall gab, waren so gut erkennbar, dass man sich nur wundern kann, wieso sie diesem lässig-scharfsinnigen Regisseur nicht auch direkt aufgefallen sind. Hier und da ging die Witzelfreude mit ihm durch; eine Pointe wie das Auftritts-Solo von Kreibich, dem heimlichen Hauptdarsteller, wird nun mal nicht besser, je länger man auf ihr herumreitet. Er kam als Erster, als zerzauster Leporello, auf die Bühne und wärmte dort den athletischen Körper und das Singstimmchen auf für das Kommende. Die Sidekick gewordene Ouvertüre, bei der sich nach und nach ein erstes Partitur-Zitat erraten ließ und das Publikum nicht zum letzten Mal kollektiv mitwirken durfte, das ist eine hübsch- respektlose Idee. Sie wäre es aber erst recht in der Hälfte der Zeit gewesen.

Und auch das seltsam unausgegoren weggewedelte kurze Finale wirkte eher wie ein erster Entwurf für ein tragendes Konzept. Dass der Akkord-Rammler Don Giovanni im Da-Ponte-Original "Der bestrafte Wüstling" hieß, blendete Nunes hier einfach aus. Sein Giovanni wurde nicht vom Geist des durch ihn getöteten Vaters von Donna Anna in die Hölle abgeholt, sondern war so frei, sich Hand in Hand und freiwillig mit La Tod (Karin Neuhäuser, mal wieder irre komisch) in die nächstbessere Welt zu verabschieden, als ginge es zur Augenfältchenglättung ins Wellness-Wochenende. "Là ci darem la mano" als finales Abschiedsständchen statt als Quickie-Serenade - damit wäre mehr zu machen gewesen.

Nächste Termine: 10., 12., 22.2. Thalia Theater