“Gute Aussichten“ in den Deichtorhallen - sieben junge Fotografen zeigen bis Anfang März einen Querschnitt ihrer Arbeiten.

Hamburg. Farbe lenkt ab. Henning Bode hat sich deshalb für schwarz-weiße Aufnahmen entschieden, als er im vergangenen Frühjahr für zwei Monate in die USA ins Mississippi-Delta gefahren ist. Jenen Landstrich unterhalb von Memphis, in dem die Sklaverei im 19. Jahrhundert besonders brutal war, in dem aber auch eine wichtige Grundlage für die populäre Musik gelegt wurde: Hier entstand der Delta Blues. Die Musik war ein Grund für den Fotografiestudenten, in den feuchtheißen Süden der USA zu reisen und seine Abschlussarbeit im ärmsten aller amerikanischen Bundesstaaten zu fotografieren. "Die Kinder des King Cotton" hat er seine 37 Prints genannt, zehn davon sind klassische Porträts, die anderen Dokumente des Lebens dort.

Mit romantischen, von Mark Twains Romanen beeinflussten Bildern im Kopf reiste der Student ins Delta. Doch die Realität hatte nichts mehr mit seinen klischeehaften Vorstellungen zu tun. "King Cotton" ist tot. Der ehemals lukrative Baumwollanbau ist zusammengebrochen, weil in Australien billiger produziert wird, das Land ist zum Armenhaus Amerikas heruntergekommen. In den Gesichtern der von ihm porträtierten Menschen spiegeln sich diese Leere und Perspektivlosigkeit.

Bodes Abschlussarbeit an der Fachhochschule Hannover ist eine von sieben Positionen, die von morgen an in den Deichtorhallen im Haus der Photographie gezeigt werden und bis zum 3. März zu sehen sind. Zum neunten Mal gibt es die "Guten Aussichten", jene bundesdeutsche Leistungsschau für Absolventen des Studienbereichs Fotografie. 108 Arbeiten von 40 verschiedenen Hochschulen wurden Josefine Raab, Gründerin der "Guten Aussichten", Ingo Taubhorn, Kurator im Haus der Photographie, und einer insgesamt sechsköpfigen Jury vorgelegt. Sieben junge Künstler wurden schließlich als Gewinner gekürt. Sie dürfen jetzt in Hamburg und anderen deutschen Städten ihren Blick auf die Welt und die Kunst ausstellen. "Es ist die bisher größte Beteiligung. Wir rechnen damit, dass die Zahl in Zukunft noch weiter steigen wird", so Ingo Taubhorn. Der Kurator berichtete auch von den Überlegungen, im kommenden Jahr eine Jubiläumsschau auszurichten, denn dann feiert "Gute Aussichten" Zehnjähriges.

Ein eindeutiger Trend war nicht auszumachen, Josefine Raab nennt jedoch zwei Phänomene, die besonders zutage getreten sind: "Es gab vermehrt Arbeiten zu Methodik und Präsentationsformen von Archiven, und auffallend viele der jungen Fotografen entwickelten installative Formen der Präsentation ihrer Werke."

Wie Susann Dietrich von der Hochschule für Bildende Künste aus Braunschweig. Sie zeigt im Haus der Photographie unter anderem eine Fotoserie mit Kristallkugeln, in die Objekte hineinprojiziert werden. Mitten im Raum steht ein Tisch mit einer Reihe von aneinander befestigten Schubladen. Das absurd anmutende Möbelstück ist Dietrichs Ausdruck über den Unsinn von Archivsystemen, die niemand nutzt. Sie selber ist eine Sammlerin und verfügt über ein großes Archiv von Objekten. Diese Fundstücke durchlaufen verschiedene Formen der Transformation. Aus einem Objekt kann zum Beispiel ein Siebdruck werden, der sich wieder in einen Gegenstand verwandelt oder zu einem Bild werden kann. Susann Dietrichs Kunst wirkt genauso rätselhaft wie der Titel ihrer Arbeit, der "Das Singen der Perlmutt-Zirpe" lautet.

Eindeutiger erscheint da Saskia Gronebergs "Büropflanze". Die Arbeit besteht aus einem Tisch mit Topfpflanzen, die sie aus Ablegern gezogen hat, 45 schwarz-weißen Archivdrucken und einem Buch. Die Absolventin der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart war als Büroforscherin unterwegs, hat Angestellte an ihren Arbeitsplätzen besucht und untersucht, wie sie die genormte Einrichtung mit individuellen Gegenständen und Flora verschönern. Ihre Arbeit über voll gerankte Schreibtische, auf denen man Kabel nicht von Pflanzenwurzeln unterscheiden kann, hat eine durchaus humoristische Note.

Verrätselt erscheint auch Nicolai Rapps Serie "Dead White Men's Clothes", für die er in Mozambique Ballen von Altkleidern fotografiert hat, sie aber aus dem realen Kontext löste und nun als Objekte erscheinen lässt, die sich auf den ersten Blick nicht erschließen. Auch Jakob Webers Arbeit "In Gegenwart" braucht ein aktuelles Bild aus der Zeitgeschichte, um entschlüsselt zu werden. Der Fotograf aus Hildesheim hat seine eigene Welt in Relation zu Unglücken wie dem Hurrikan "Katrina", dem Amoklauf von Erfurt oder der Zugkatastrophe von Eschede gesetzt.

Die Frage nach der Authentizität eines Bildes stellt Fabian Rook von der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Er ist in verschiedene Gegenden der Erde gereist, nach Mexiko und ins Tsunami-zerstörte Japan - allerdings nur mit Maus und Rechner. Rook hat sogenannte Screenshots von Googleview gemacht. Seine Bilder ähneln im Stil der Dokumentarfotografie von Joel Sternfeld, doch während bei dem New Yorker Fotografen erst bei naher Betrachtung die enorme Tiefenschärfe deutlich wird, fallen Rooks verpixelte Aufnahmen auseinander.

Zu den beeindruckendsten Arbeiten von "Gute Aussichten 2012/13" gehört "Zuckerblau" der in Moskau geborenen Svetlana Mychkine. Zwei Jahre lang hat sie in russischen Waisenhäusern fotografiert. Die idyllische Farbmelodie ihrer Bilder steht in krassem Gegensatz zu den Gesichtern der von ihr fotografierten Kinder. In den Mienen spiegeln sich Isolation und Einsamkeit. Innerhalb der Ausstellung gibt es eine Verbindung von Mychkine zu Henning Bodes Mississippi-Bildern. Jedes erzählt ein Schicksal aus einer düsteren Realität. Schärfe wird hier schmerzhaft.

"Gute Aussichten" 25.1.-3.3., Di-So 11.00-18.00, Deichtorhallen