Koloraturen als Extremsport: Heute gibt die Mezzosopranistin Vivica Genaux ihr Hamburg-Debüt in “La Cenerentola“

Staatsoper. Vivica Genaux hat sich für das Interview einen Eckplatz am Konferenztisch im 7. Stock der Staatsoper ausgesucht: "Da fühle ich mich wohler." Klar. Genaux braucht Platz. Keinen Moment sitzt die Frau mit der Indianermähne und den endlos langen Beinen einfach nur da. Jeder ihrer Sätze wird zur Szene, besonders wenn sie erklärt, wie eine barocke Arie funktioniert. "Das Orchester kommentiert die Sängerin. Sie singt etwas, und die Musiker erwidern: Wiiirklich? Oder: Ooooh, das ist traurig. Oder in den Zwischenspielen: Das ist aufregend, was sie gesagt hat! Ich kann kaum abwarten, was sie als Nächstes sagt!"

Genaux geht auf in dem, was sie da gerade vormacht. Die Augen leuchten wie der große Ring mit den Strasssteinen an ihrer Hand. Mal springt sie auf, dann schmiegt sie sich voll Mitgefühl über den Tisch und schnattert im nächsten Moment wie eine ganze Entenfamilie. Ob Zorn, Liebeskummer oder Zuversicht, in wenige Worte und Bewegungen packt sie einen ganzen Regenbogen an Empfindungen, und das mit einer Unmittelbarkeit, dass man keinen Moment daran zweifelt, den Menschen vor sich zu haben, der das alles durchlebt.

Natürlich hat sie auf der Bühne eine ähnliche Präsenz, darstellerisch wie stimmlich. Man muss es erlebt haben, mit welcher Lässigkeit sie ihrer Kehle die halsbrecherischsten Koloraturen und Verzierungen entlockt. Kein Wunder, dass der Sängerguru René Jacobs mit der Mezzosopranistin die CD "Arias for Farinelli" einspielte, die den sagenumwobenen italienischen Kastraten und Superstar des 18. Jahrhunderts ehrte. Es wurde Genaux' internationaler Durchbruch. Sie singt mit allem, was Rang und Namen hat, und an den größten Opernhäusern.

An diesem Dienstag gibt die 43-Jährige in der Titelrolle von Rossinis Oper "La Cenerentola" ihr Debüt an der Staatsoper Hamburg. Florian Csizmadia dirigiert, mit Genaux tanzen und hüpfen Viktor Rud, Mélissa Petit und viele andere durch die Castingshow, als die Renaud Doucet (Regie) und André Barbe (Ausstattung) die Aschenputtel-Geschichte 2011 in der Ästhetik der 30er-Jahre auf die Bühne bringen.

Kaum eine Partie hat Genaux so oft gesungen wie die der Angelina, so heißt das Aschenputtel. "Es gibt kaum Tadaaa-Momente in der Oper. Die Bravourarie ,Nacqui all'affanno' ist eine Ausnahme. Meistens bin ich Teil eines großen Gewebes. Ich liebe das."

Nicht nur Genaux' Akzent im Englischen ist unüberhörbar amerikanisch, ihre positive Art ist es ebenfalls. "That's a good idea", sagt sie oft und zeigt beim Lächeln ihre leuchtend weißen Zähne. Äußerlich ginge sie ohne Weiteres als Mexikanerin durch, doch die Dinge sind etwas komplizierter: Genaux, Tochter einer Schweizer Mutter und eines belgischstämmigen Amerikaners, kommt aus Fairbanks in Alaska. Ihr Vater war Professor für Biochemie.

Wunderbar sei ihre Jugend dort gewesen, schwärmt sie. Es gab ein Musicaltheater in Fairbanks, und im örtlichen Orchester saßen Offiziere und Universitätsprofessoren. "Für mich ist Kunst immer etwas gewesen, an dem ich mitwirken konnte", erzählt Genaux. "Das war nichts Elitäres. Natürlich wurde erwartet, dass man sein Bestes gab. Aber es hat Riesenspaß gemacht. Wie im Sandkasten!"

Dass sie das Biologiestudium hinschmeißen und Sängerin werden wollte, fiel den Eltern nicht leicht. "Manche Dinge muss man aber tun, sonst hat man das ganze Leben das Gefühl, man hätte etwas verpasst", sagt Genaux. Ihr Gesangslehrer überzeugte die Eltern, Genaux ging an die Musikuniversität in Bloomington im US-Staat Indiana.

Von dort aus hat sie singend die Welt erobert. Ihre Basis hat sie immer noch in Fairbanks. Mit ihrem Mann, einem Italiener, lebt sie in der Nähe von Venedig - für ein paar Wochen im Jahr, fast die gesamte übrige Zeit ist sie auf Reisen. "Ich leide nicht mehr darunter", sagt sie. "Ich würde nicht gern immer am selben Ort wohnen. Jede Produktion ist anders, das finde ich spannend."

Wenn sie nicht probt, bleibt Genaux am liebsten in ihrem Appartement. "Sonst würde ich das nicht aushalten. Man nennt mich auch ,die Larve'." Spricht's, lacht und zieht sich die Pelzmütze über den Kopf. Es ist kalt in Hamburg. Fast so kalt wie in Alaska.

"La Cenerentola" Di 22., Do 24., Mi 30.1., jew. 19.00; So 27.1., 16.00, Staatsoper (U Gänsemarkt), Dammtorstr., Karten zu 10,- bis 79,-: T. 35 68 68