Antú Romero Nunes inszeniert Mozarts Oper als bombastisches Weltuntergangsstück und eröffnet damit die Lessingtage am Thalia.

Hamburg. Auf einem Mikrofonständer am Rande der Gaußstraße-Probebühne hängt, übel zerrupft, eine Allongeperücke, die aussieht wie der Rest einer gelungenen Rokoko-Orgie. Welche Rolle sie spielen soll, ob sie überhaupt eine spielt, das sind zwei der Inszenierungsgeheimnisse, die der Regisseur Antú Romero Nunes doch lieber noch für sich behält, um sich den Spaß an der Premiere mit Publikum nicht zu verderben. Aber er gibt einige hintersinnig clevere Hinweise, die erahnen lassen, wie ernst ihm damit ist. "Don Giovanni hat die Frauen im Herzen, an ihrem Geschlecht. Die Frauen vergessen den nicht mehr. Das ist ja die große Angst jedes Mannes: Nicht dass sie mit einem anderen ins Bett geht, sondern dass sie von einem anderen träumt."

Mozarts "Don Giovanni", am 25. Januar als Eröffnungspremiere der Lessingtage im Thalia, da staunt der Laie, und auch der Fachmann wundert sich. Denn Querverbindungen vom Dichter zum Komponisten und erst recht zu diesem Meisterwerk ließen sich wohl nur mit viel Dramaturgengeschwurbel konstruieren - oder mit süffisanten Wortspielen über den dann zweideutig gemeinten Begriff "Aufklärung".

Und überhaupt - eine Oper im Sprechtheater, mit Schauspielern, die auch mal singen sollen und das vielleicht gar nicht können, erst recht nicht im klassischen Sinn? Die Musik nicht amtlich und orchestral aus dem Graben, sondern von einer siebenköpfigen Begleitband mit gleich zwei Gitarren?

Für die erste Frage verweist Nunes auf das Lessingtage-Oberthema "Europa", außerdem ist der unheilbare Frauenflachleger für ihn ganz klar ("Wo der überall unterwegs ist") ein europäischer Mythos. "Er ist wahnsinnig modern und steht ja auch für etwas, das sich nie verändert: fressen, ficken, saufen." Auch auf die musikalischeren Fragen hat der 29 Jahre junge Regie-Senkrechtstarter im Halbdunkel des Bühnenrands Antworten parat. "Musik ist das, wo meine Fantasie losgeht. Wir bleiben den Dingen treu, und die Melodien sind alle da. Und ich möchte mal behaupten, dass jeder Mozart singen kann. Vielleicht sogar manchmal besser als ein Opernsänger. Wenn da ,Canzonetta' steht - das ist ein Liedchen -, und dann kommt so ein Opernsänger mit so einer riesigen Stimme. Wenn man die Töne irgendwie trifft, wirkt das viel stärker. Außerdem: In der Hamburger Oper gibt's das Original ja schon."

Mit seiner Version von Tankred Dorsts "Merlin" hatte Nunes dem Thalia im letzten Herbst einen Publikumserfolg beschert, da wurde geistreich mit der Vorlage jongliert, von Respekt vor der drohenden Fallhöhe war nichts zu sehen. An diese Spiel-Regel wollen sich Nunes und sein Bühnenmusiklieferant Johannes Hofmann auch hier halten. Nur eben total anders. Gemeinsam einigen sie sich für diesen Annäherungsversuch auf das schöne, nur leider etwas unhandliche Etikett "Theater, wo die Musik eine entscheidende Rolle spielt".

Die beiden arbeiten schon seit der Studienzeit regelmäßig zusammen, beim Gespräch über das, was mit Giovanni, Leporello & Co. passieren soll, sind sie ein sehr harmonisches Duo. Mozart - "der war ja ein Spieler" - hätte bestimmt seinen Spaß an dieser Variation über das altbekannte Thema, glauben die beiden unisono. Hofmann hat zur Vorbereitung seiner Arrangements tagelang mit dem Ausgangsmaterial am Klavier experimentiert und "oft ganz einfache Melodien und Akkorde" gefunden, "die aber ganz viel erzählen". Nunes hat eine Übersetzung des Da-Ponte-Texts angefertigt. "Dieser italienische Rhythmus, das ist der Wahnsinn, ganz toll." Und das mit dem Nicht-so-ganz-Singen-können-Müssen, das sei Teil seines Konzepts. "Mit einem Wagner würde ich so etwas hinterfragen, aber hier haben wir gesagt: Spielt die Lieder. Spielt sie. Wir gucken mal, was wir da an Gesang brauchen, die Lieder liefern wir dann schon mit."

Jetzt, wo klar ist, dass dieser "Don Giovanni" ganz anders klingen wird, bliebe noch zu besprechen, wie anders er aussehen und sich anfühlen wird und warum. Dafür bietet Regisseur Nunes eine Erklärung, die vage beginnt, aber dann doch schnell in die Tiefe geht: "Es gibt eine Interpretation, die ist aber echt schwer in Worte zu fassen. Das ist das schwammigste Thema, das ich je behandelt habe - weil der Typ alles ist, was man nicht aussprechen kann. Also: Wie gehe ich damit um, dass ich weiß, dass ich sterben werde?" Für ihn reiht Giovanni "einfach alle göttlichen Momente aneinander, die er finden kann. Für ihn ist der Tod einfach eine Möglichkeit von vielen. Und wenn er nicht weiß, warum er da ist, muss er sich wenigstens mit Gefühlen vollpacken. Einerseits ist das eine Wahnsinnskomödie, anderseits aber auch ein bombastisches Weltuntergangsstück."

Als Leporello, den Diener von meist plumper Gestalt, hat sich Antú Romero Nunes den Thalia-Publikumsliebling Mirco Kreibich gesichert, der schon im "Merlin" mit vollem Körpereinsatz einen hinreißenden Spielführer ablieferte. Die beiden waren sich schnell einig, dass sie auch für ihn abseits der Regie-Trampelpfade etwas finden wollen. "Mirco sagt, der Diener ist nicht verfressen. Der hat einfach Hunger. Der bekommt alle Auszehrungen seines Chefs mit. Don Giovanni hat den schönen Teil - er ist fürs Schlussmachen da, Leporello muss aufräumen. Für mich ist das deswegen eher eine traurige Gestalt."

Andere Opernneulinge würden brav mit kleineren Brocken üben, ob sie sich nicht verheben, Nunes ist da ganz eindeutig anders drauf: "Ich muss ja nichts hinkriegen", antwortet er, ganz leicht amüsiert von der Frage. "Wenn man Theater macht, muss man in die Vollen gehen mit dem, was einen interessiert! Ich kann nicht arbeiten, wenn ich mir keine große Aufgabe stelle. Ich muss nicht erzählen, wie es Leuten in Plattenbauten schlecht geht. Das wissen wir. Ich muss mich ja nicht dümmer stellen, als ich und die Zuschauer es sind", findet er . "Warum soll ich politisches Theater machen, warum? Ich kann doch Zeitung lesen und mich empören. Die Frage ist vielmehr: Was mache ich auf der Welt?"

Für Grundsatzdiskussionen über dieses Thema ist allerdings keine Zeit mehr. Die ersten Schauspieler und Mitglieder des Inzenierungsteams kommen wieder zurück in den Saal. Nach der Probe ist vor der Probe. Nach der Premiere hier in Hamburg und einigen Wochen Pause zum Abschalten und Batterieaufladen steht eine ganz andere, ganz neue Herausforderung in Nunes' Kalender: Mexiko, eine Koproduktion mit dem Maxim Gorki Theater, mit zwei Berliner Schauspielern und vier mexikanischen Wrestlern. "Ich weiß aber noch nicht, ob das klappt", sagt Nunes und lächelt schon vorfreudig in sich hinein.

"Don Giovanni. Die letzte Party" Premiere Fr 25.1., 20 Uhr, Thalia Theater

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