Hamburg. Was für ein Konzertbeginn: Da tritt einer auf, verbeugt sich knapp, setzt sich auf den Klavierhocker, legt die Hände wie zum Gebet gegeneinander - und springt. So weit und tief, dass es dem Hörer den Atem verschlägt.

Ohne Aufwärmphase betritt Igor Levit das aufregendste musikalische Gebiet, das sich für einen einzelnen Pianisten denken lässt, die Welt der späten Beethoven-Sonaten. Vom ersten Ton der A-Dur-Sonate op. 101 an gibt er sich der Milde und Süße, der schwebenden Melancholie dieses Anfangs hin, die nur entstehen, wenn einer sich mit Haut und Haar auf sie einlässt. Was da auf der Bühne stattfindet, ist so intim, dass man sich streckenweise vorkommt wie ein Voyeur. Wenn der Pianist sich zu seinen Fingern hinunterbeugt, als wollte er ihnen einflüstern, was sie zu tun hätten. Oder wenn die Hände zwischen zwei Akkorden über den Tasten flattern wie Schmetterlinge, um den rechten Moment zu erwischen - ein Wimpernschlag, und alles ist verloren.

Bis zum letzten Platz ausverkauft war das Eröffnungskonzert des einwöchigen "Rising Stars"-Festivals im Kleinen Saal der Laeiszhalle. Es wäre auch schade um jeden leeren Platz gewesen, von der ärgerlichen Geräuschentwicklung im Saal mal abgesehen.

Gut, dass Levit sich davon nicht ablenken ließ. Er fuhr volles Risiko. In den 24 Präludien von Schostakowitsch, einer Verneigung vor Bachs "Wohltemperiertem Klavier", legte er den originalen Schostakowitsch frei. Der blieb nämlich, anders als Bach, innerhalb dieser Miniaturen nur selten bei einer Stimmung. Levit ließ die Musik perlen und splittern, flüstern und schreien und machte sie zu winzigen Dramen, ohne die Einheit der Form zu verraten.

Und als krönenden Schluss stürmte Levit den Gipfel der Klavierliteratur, Beethovens Hammerklaviersonate. Das Stück sei eine seelische Grenzerfahrung für ihn, hatte er vorher gesagt. Fürs Publikum war sie das auch. Und ein Geschenk dazu.