Die Hamburger Schauspielerin Anna Bederke spielt im neuen Film von Matthias Schweighöfer - und macht ansonsten, was ihr gerade gefällt.

Hamburg. Sie liest nicht, sie tippt nicht besinnungslos auf ihr Handy ein, sie guckt nicht in die Speisekarte. Anna Bederke sitzt einfach nur da. Guckt und wartet. Und strahlt dabei eine Ruhe aus, die für den allgemeinen Geisteszustand der Um-die-Dreißigjährigen, erst recht aber für den fortgeschrittenen Hysteriegrad der Filmbranche doch verblüffend ist. Zeit scheint nicht etwas zu sein, gegen das man anrennen muss, Zeit ist Leben. Manchmal eben auch warten auf den Gesprächspartner. Man muss, wenn man Bederke anschaut, unweigerlich an französisches Kino denken. An Film-Noir-Werke in Schwarz-Weiß, in denen noch eine Knarre und ein Mädchen ausreichten für eine Geschichte. Heißer Kaffee, coole Gesten, wache Nächte.

Als könnte sie Gedanken lesen bestellt Anna Bederke jetzt erst mal einen Kamillentee. Mit Beutel. Und hat einen Film gedreht, der so ziemlich das Gegenteil ist von französischer Arthousekunst. Schubladendenken ist nämlich etwas, das sie überhaupt nicht leiden kann. Überraschungen dafür umso mehr. In "Schlussmacher", der heute im Kino startet, ist sie die lesbische Schwester von Matthias Schweighöfer, der wiederum einen karrieregeilen Jungunternehmer spielt, der Paare bei der Trennung unterstützt. "Schlussmacher" ist eine zuckerperlenbunte, mäßig witzige Liebeskomödie. Die filmische Preisklasse liegt irgendwo zwischen Til Schweigers Kuscheltierfilmen und fernsehfinanzierten Buddy-Movies. Großartig allerdings sind die Schauspieler, Theatermann Milan Peschel als trotteliger Gutmensch im Liebeswahn und eben Bederke mit ihrer unnachahmlichen Art, der Welt (und dem Zuschauer) mit unverschnörkelter Direktheit ins Auge zu blicken.

Bederke braucht keine großen Sätze, keine ausgefallenen Rollen, keine darstellerischen Tricks, um auf sich aufmerksam zu machen. Es genügt eine Kamera, die ihr einfach nur zusieht. Katzenaugen, spektakulärer Mund, schwanenlanger Hals. Eine Art deutsche Anna Karina, Godards Langzeit-Muse. Der Erste, der Bederkes Spieltalent erkannte, war Hamburgs Kinopate Fatih Akin. Hat die Kunststudentin quasi vom Bartresen weggecastet und für die herzwärmende Komödie "Soul Kitchen" besetzt. Der Rest ist Geschichte, Kinogeschichte. Und Bederke haftete fortan das Label an, erste Wahl zu sein, wenn es um Schauspiel mit Street-Credibility geht. Man könnte auch sagen: Sie brachte jenen Hauch von Wirklichkeit und Frische ins deutsche Kino, den man so lange vermisst hat.

Nun ist Sarah, die lesbische Fotokünstlerin aus "Schlussmacher", keine Rolle, mit der man sich ins Charakterfach spielt. Aber erstens hat Bederke das keinesfalls mehr nötig, zweitens wählt sie die Filme, in denen sie spielt, nach anderen Gesichtspunkten aus. Mag ich die Geschichte, möchte ich mit diesen Menschen arbeiten und auch ganz banal: Hab ich einfach Bock darauf? In diesem Fall wollte sie unbedingt mit Milan Peschel drehen, dem "wundervollen Schauspieler, der gleichzeitig witzig und rührend sein kann". Und mit Schweighöfer, diesem Kinoberserker, der in "Schlussmacher" Hauptrolle, Regie und Produktion übernommen hat. Und überhaupt im deutschen Kino sein eigenes Ding macht wie nur sehr wenige. "Ich habe großen Respekt vor Machertypen. Ich mag es, wenn Leute konsequent sind. Authentizität ist mir überhaupt ganz wichtig. Dann ist fast schon egal, was sie machen", sagt Bederke. Ein Blick auf ihre Filmografie spiegelt ihre Leidenschaft für immer Neues denn auch ungefähr wieder. Ein bisschen Popcornkino, etwas öffentlich-rechtliche Bundesliga-Fiktion, viel Arthousekino. Nachdem sie im vergangenen Jahr satte neun Millionen Zuschauer in einem hochdramatischen "Tatort"-Finale im Arm von Mehmet Kurtulus sahen, hat sie erst mal in einem Kurzfilm von einer Kölner Filmhochschulstudentin gespielt. Eine Pennerin.

Anna Bederke bestellt jetzt doch einen Cappuccino und erzählt mit ihrer Winter-Stimme, die so leise und rau klingt, als habe sie einen Teil von ihr zu Hause im Bett gelassen, von der "Schlussmacher"-Premiere am Vortag in Berlin. Von den Rote-Teppich-Fragen der Reporter, die wissen wollten, wie sie mit ihrem Freund Schluss machen würde. Oder was sie Christian Wulff raten würde? "Was soll ich dem raten, ich kenn ihn ja gar nicht", hat Anna Bederke geantwortet und ist schnell ins Kino gehuscht. Wenn es privat wird, macht sie dicht. Wenn man ihr dumm kommt, sucht sie das Weite. Überhaupt muss sie öfter mal Abstand gewinnen. Von ihrer Wohnung in der Schanze, vor allem aber von Film-Einerlei und den damit einhergehenden Oberflächlichkeiten und Abhängigkeiten. Gerade plant sie ihren Urlaub. Lesen, schreiben, Gedanken sortieren, Nichtstun. "Vor allem nicht ins Internet gehen und nicht angerufen werden können", sagt Bederke.

Anschließend spielt sie, wenn alle Unterschriften auf dem Papier gelandet sind, eine Kriminelle. Und kommt noch in diesem Jahr mit einem neuen Matthias-Schweighöfer-Film ins Kino. In dem Roadmovie "Frau Ella" gibt sie die schwangere Freundin des Hauptdarstellers, inklusive Beziehungskrise und Geburtswehen. Wenn sie nicht dreht, schreibt und fotografiert sie. "Im Wurschtelbereich sein", nennt sie das. Wurschteltage sind ihr wichtig, um die Leere, die sich nach Dreharbeiten wie auf Knopfdruck einstellt, neu zu füllen. Mit Bederke zu sprechen ist auch deshalb so angenehm, weil sie ohne Besserwisservokabeln und theoretischen Überbau vom Kino spricht. Weil sie ebenjene Ruhe ausstrahlt, die auch Filmszenen eine eigene Dichte verleiht.

Dazu kommt ein Vertrauen in das eigene Bauchgefühl, um das herum sie ihre Figuren formt. Das ist dann auch schon die einzige Formel, auf die sich ihr Spiel bringen lässt. Anna Bederke sagt zu dem Gerätsel um ihr Erfolgsgeheimnis natürlich kein einziges Wort. Sie sitzt da, lächelt und schweigt.

Eine Kritik von "Schlussmacher" lesen Sie im aktuellen LIVE-Heft. Am 25.1. stellen Matthias Schweighöfer, Milan Peschel und Anna Bederke den Film im Cinemaxx Dammtor vor.