Der “Elbphilharmonie Kompass“ der HamburgMusik wendet sich auch an Senioren - kurioserweise mit einem Gamelan-Workshop.

Hamburg. Immer auf die Kleinen: Das ist die Maxime, nach der Orchester und Konzerthäuser ihre sogenannten Education-Programme ausrichten. Ein ganzer Berufszweig lebt davon, Kindern mit passgenau auf die jeweilige Altersgruppe abgestimmten Angeboten Musik schmackhaft zu machen. Doch was ist mit den Alten? Die für Education zuständige Abteilung "Elbphilharmonie Kompass" der HamburgMusik hat jetzt in Zusammenarbeit mit dem Generalkonsulat Indonesiens erstmals ein Programm speziell für Senioren aufgelegt, ein Pilotprojekt unter dem weltumspannenden Titel "Kosmos Gamelan".

Musikalische Späterziehung, sozusagen. Sieben ihren Pässen nach betagte, aber ungebrochen neugierige Hamburger Damen und ein Herr lassen sich einmal pro Woche für zwei Stunden in einer Villa in Winterhude so gut es geht auf niedrigen Plastik-Tritten nieder und klöppeln auf Metallophone unterschiedlicher Größe ein. Manche von ihnen waren selbst in Indonesien auf Reisen, auf Bali, Java oder Sumatra und ließen sich dort vom meditativen kollektiven Klingklang verzaubern.

Im Veranstaltungsraum im Erdgeschoss des Generalkonsulats an der Bebelallee steht ihr Spielzeug: das Gamelan. Das Wort bezeichnet zugleich das Instrumentarium, das Ensemble und die Musik. Rechteckige, leicht gebogene Platten und merkwürdig geformte goldene Metalltöpfe ruhen in rot bemalten Gestellen aus Holz. Einige Geräte haben nur ein einziges Klangplättchen, das ist dafür dick und breit.

Metallene Hämmerchen, Holzhämmer wie kleine Crocketschläger, Filzschlägel oder dicke Klanghölzer versetzen das schimmernde Material in Schwingung. Die Hämmer aus Metall sind besonders eindrucksvoll: Sie sind so kühn geschwungen wie die der Zwerge im Edelstein-Bergwerk aus einem alten Kinderbuch. Alfio Jungmann, 80, hält das Hämmerchen gespannt in die Luft und achtet auf seinen Einsatz. Eigentlich juckt es ihn noch mehr in den Fingern, richtig Schlagzeug zu spielen: "Rumba oder Swing, das wäre überhaupt kein Problem", sagt er. Aber vor einem halben Jahrhundert schon erstand er eine französische Feldaufnahme mit Gamelan-Musik. Seither träumt er von dem besonderen Klang.

In der ersten Stunde entsteht aber erst mal Unruhe, und es gibt leisen Unmut. Denn der indonesische Kursleiter im floral gemusterten Hemd über der Hose spricht kaum ein Wort Deutsch, und wenn, dann ist er nicht zu verstehen. Pak Maharsi hält einen Zeigestock Marke Lehrer aus der Häschenschule in der Hand und schlägt damit recht unbarmherzig auf eine weiße Tafel ein. Jeder seiner reifen, in balinesischen Musikfragen jedoch komplett ahnungslosen Zöglinge sitzt vor einem anderen Instrument. Maharsi singt und brummt die Betonung des zu spielenden Rhythmus. Und noch einmal. Immer wieder.

In der Teepause klagen manche Senioren über schmerzende Knie, die Sitzhaltung ist ungewohnt. Doch das gemeinsame Musikmachen bereitet ihnen Freude, trotz der Anspannung, auch wenn die Erfolgserlebnisse nicht eben riesig sind. Eine Dame erzählt, wie sie als Kind aus dem Schulchor flog. Barbara Eckardt, 67, dagegen ging extra zur Frühstunde Chor und begreift auch jetzt die ihr zugewiesene Aufgabe recht schnell. "Es gibt nichts Schöneres, als ein Gamelan-Orchester zu hören und die Seele baumeln zu lassen", schwärmt Ingrid Beyer, 75. Doch vom nüchternen Raum in der Bebelallee ist es weit bis zu den Ferienparadiesen Indonesiens, wo in mancher Hotelanlage Gamelan-Gruppen für die betuchten Gäste aufspielen. Aller Anfang ist schwer. Das Gamelan-Orchester der spätberufenen Hanseaten klingt jedenfalls recht herb.

Auch der Reporter klöppelt fröhlich mit, doch seine musikalische Ausbildung stößt im Radebrech-Dialog mit dem Kursleiter schnell an ihre Grenzen. Obschon auch das Gamelan selbstverständlich eine rhythmische Struktur besitzt, bei manchen Stücken sogar eine ausgesprochen komplizierte, hilft ihm das Denken in Taktarten und Zählzeiten hier nicht weiter. Wo, bitte, ist die Eins? Solche Fragen übergeht Pak Maharsi einfach. Man muss es selber herausfinden. Und plötzlich geht es. Die Synkopen des Reporters verhäkeln sich wunderbar mit dem geraden Rhythmus, den die Gamelan-Sitznachbarin Barbara Eckardt unverdrossen schlägt. In den unerwartetsten Momenten stellt sich ein Anflug von Flow ein. Alles stimmt, alles klingt. Vielleicht nicht ganz richtig, aber irgendwie toll.

Dennoch erweist sich die Sprache als das größte Hindernis auf dem Weg zu musikalischem Erfolg und kollektivem Wohlbefinden. "Zu mechanisch" sei das hier, bemängelt eine Teilnehmerin, die sich "wie in der Grundschule" behandelt fühlt. Etwas mehr Theorie und kulturellen Background wollen sie haben. Aber vielleicht muss man diesen kulturellen Unterschied auch einfach aushalten. In Indonesien, heißt es, spielen die Menschen von Kindesbeinen an beim Gamelan mit. Da braucht es keine besondere Erwachsenen-Pädagogik. Und dass stetiges Mitmachen auch uns westlichen Gamelan-Spätzündern etwas bringen kann, beweist das Ensemble Margi Budoyo, ein veritables Hamburger Gamelan-Orchester. Deren Musiker haben auch unter Zuchtmeister Pak Maharsi gelernt.