Eine Seherfahrung von Karolin Jacquemain

Nie ist das Fernsehen so sehr bei sich wie an den letzten Tagen des Jahres. Sissi und E.T., Carmen Nebel und Rocky Balboa, "Tatort"-Wiederholungen und "Tatort"-Premieren. Es regiert die Macht der Gewohnheit. Der Bildschirm ist wie ein alter Freund aus Sandkastentagen, mit dem einen im Alltag nicht mehr viel verbindet, den man in Dezemberbluesstimmung jedoch zu schätzen weiß. Als "kalte Dusche" hat Norbert Himmler, der neue ZDF-Programmdirektor, zuletzt dem Zuschauer unbekannte Serien im öffentlich-rechtlichen Gewässer bezeichnet. Das TV-Programm in diesen Tagen ist dagegen ein einziges Schaumbad, konstant 39 Grad warm. Gefüllt mit Seifenblasenträumen von Märchenprinzen und Kindheitserinnerungen an jene Zeiten, als das tägliche Programm noch über die Tasten eins bis neun auf der Fernbedienung zu steuern war.

Klar kann man sich dem gesendeten Mix aus Volksmärchen, Historienpomp und Serienkillergrusel leicht entziehen. Wer 16 Folgen am Stück aus dem Schatzkästchen der amerikanischen Serienschmiede inhaliert hat, kann über Aschenbrödels Haselnüsse nur müde lächeln. Doch verspielt man so die Vorfreude auf neue heimische Fernsehware im Januar. Nur wer sich zum gefühlt 18. Mal vor dem "kleinen Lord" gelangweilt hat, weiß die öffentlich-rechtlichen Zwei- und Dreiteiler zum Jahresauftakt wirklich zu schätzen. So funktioniert Fernsehlogik.