Die Weihnachtspredigt ist für die Pastoren Herausforderung und Chance, das Evangelium von Gottes Liebe unters Volk zu bringen.

An einen Tag im Jahr werden die Deutschen fromm. Am Fest der Liebe freuen sich die Pastoren über volle Kirchen. Dicht an dicht drängt sich das Volk Heiligabend unter die Kanzeln. Auch Menschen, die sonst nie zum Gottesdienst kommen, können sich den Heiligabend ohne Kirchgang kaum vorstellen. "O du fröhliche", "Vom Himmel hoch" und "Stille Nacht" singt man gemeinsam und erstaunlich textsicher, hört die Weissagungen aus dem Alten Testament und die seit Kindheit vertraute Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium. So weit, so gut, doch dann wartet der Heiligabend-Christ mit manchmal gemischten Gefühlen auf das, was der Pfarrer oder die Pastorin zu predigen haben.

Was sagen sie ihrer Gemeinde an diesem besonderen Abend, an dem die "Einschaltquoten" konkurrenzlos hoch sind? "Zündet an das Licht der Liebe", heißt es in einem Weihnachtslied, aber manche Predigt hört sich irgendwie anders an. Manche Pastoren reden ihren Zuhörern zehn Minuten lang ins Gewissen, beklagen wortgewaltig die Gottlosigkeit der modernen Gesellschaft, fordern zur Buße auf, gönnen sich auch einen kleinen Seitenhieb mit der Bemerkung, dass sie die meisten Gesichter ja ohnehin wieder ein Jahr lang nicht sehen werden. Wo bleibt da die Nächstenliebe? Sollte sich der Pastor nicht eher an die Seligpreisungen erinnern, in denen es heißt: "Die Liebe ist langmütig und freundlich. Die Liebe eifert nicht" und den Erwartungen seiner Zuhörer Rechnung tragen? Mit freundlichen Worten und einer liebevollen und nicht allzu anstrengenden Auslegung der Weihnachtsgeschichte, in der sich Gottes Liebe zu den Menschen zeigt.

Wie die evangelischen Pastoren predigen, ist ihre Sache. Worüber sie predigen, eigentlich nicht. In der sogenannten Perikopenordnung ist für jeden Gottesdienst ein Predigttext festgelegt, auch für den Heiligabend. Diesmal ist es Johannes 7, Vers 28 und 29: "Da rief Jesus, der im Tempel lehrte: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt. Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt." Alles klar, lieber Heiligabend-Christ?

Katharina Fenner, seit 2011 Pastorin in Ottensen, hat da ihre Zweifel. Sie wird sich jedenfalls nicht an diese Vorgabe halten. Muss sie auch nicht, denn die Perikopenordnung hat in der Praxis mehr oder weniger empfehlende Charakter.

"Heiligabend ist kein normaler Gottesdienst, es ist ein Sonderfall, weil andere Menschen als sonst zu uns kommen, die ich auch anders ansprechen muss", sagt die junge Gemeindepastorin, die in ihrer Predigt auf ihre Zuhörer zugehen möchte. "Ich glaube, viele bringen eine Sehnsucht mit nach mehr heiler Welt und nach einer besseren Zukunft, für die das Kind in der Krippe ein Symbol ist", sagt Katharina Fenner, die zu Heiligabend Menschen vor sich sieht, die sich nach der Hektik und dem Stress der Vorweihnachtszeit auf Gefühle einlassen und Frieden spüren wollen. Diese Erwartungshaltung findet sie legitim, für sie ist das kein Bedürfnis nach Seelenwellness und falschem Trost. "Die Menschen, die am Heiligabend in die Kirche kommen, haben Sehnsucht nach den Geschichten, den Liedern, der Stimmung. Und dem möchte ich auch Raum geben. Aber in meiner Predigt werde ich außerdem vermitteln, dass dieses Weihnachtsgeschehen etwas Herausforderndes hat, das ganz unmittelbar mit unserem Leben verbunden ist", sagt die Theologin und beschreibt die Menschwerdung Gottes, um die es zu Weihnachten geht, als Ausdruck einer harten sozialen Realität: "Christus ist nicht deshalb in einem Stall zur Welt gekommen, weil seine Eltern das romantisch fanden, sondern weil sie in Bethlehem obdachlos waren. Das heißt: Gott wird Mensch und zeigt sich in einem Kind. Er kommt in unsere Geschichte und in meine ganz persönliche Lebensgeschichte, in der er auch die dunklen Seiten kennt, meine Stallecken und Strohseiten ..."

Katharina Fenner weiß, dass sie schon bei der Wahl der Worte und Begriffe sehr genau überlegen muss, ob diese auch von nicht kirchlich geprägten Menschen verstanden werden. "Ich versuche immer, ganz alltägliche Geschichten zu finden, bei denen ich das Gefühl habe, dass das, worum es zu Weihnachten geht, deutlich wird", sagt die Pastorin, der bewusst ist, dass es für viele Menschen schon schwer genug ist, zehn Minuten einer Predigt zuzuhören.

Mindestens 600 Menschen werden zur Christvesper in die barocke Christianskirche kommen. Kennt die Pastorin noch Lampenfieber? "Ein bisschen ist das schon so", sagt sie nach kurzem Nachdenken: "Aber das hat durchaus auch eine positive Seite, denn dadurch bin ich viel präsenter und wacher für das, was an diesem Abend vor sich geht. Und dieses Aufgeregtsein habe ich immer als besonders schön erlebt, es verbindet mich mit den Kindern, die zu Heiligabend auch diesen inneren Drive haben."

Alexander Röder, als Michel-Hauptpastor schon von Amts wegen in Hamburg eine Institution, ist es gewohnt, vor vielen Menschen zu predigen. Aber auch für ihn ist die Christvesper etwas Besonderes. 4500 bis 5000 Menschen werden um 16 Uhr in den Michel kommen, zum 18-Uhr-Gottesdienst dann mindestens noch einmal 2000. Bekommt Röder in dieser Situation vielleicht doch einen Anflug von Lampenfieber? "So würde ich es nicht nennen, aber da ist schon so eine bestimmte Form einer Aufregung. Heiligabend ist anders als sonst, weil da auch wirklich eine andere Gemeinde zu uns kommt", meint Röder. Er spricht von einer doppelten Erwartungshaltung: Die Gemeinde kommt mit einer hohen Erwartung an das, was zu Weihnachten am Michel geschieht. Aber er selbst erwartet auch viel von diesem Tag: "Ich möchte eben nicht nur funktionieren, nicht nur der Prediger sein, sondern auch selbst etwas davon haben. Ich möchte mitfeiern. Und das schafft wahrscheinlich diese Aufregung, die anders ist als in anderen Gottesdiensten."

Röder wird über den schwierigen Johannestext predigen, aber auf seine Weise. "Ich predige über ein unerhörtes Wunder, denn es ist im wahrsten Sinne des Wortes unerhört, dass in einer Religion gelehrt und geglaubt wird, dass Gott Mensch wird. Dass er anfassbar, berührbar und auch verletzbar und sogar sterblich wird. Das zeigt diese unendliche Solidarität Gottes mit den Menschen. Und das betrifft auch die Menschen, die ganz selten in die Kirche kommen", sagt Röder. Nie würde er auf die Idee kommen, Menschen zu beschimpfen, weil sie nur einmal im Jahr kommen. Für manche sei das schon eine Form der Regelmäßigkeit.

Dass die Menschen mit den christlichen Begriffen vielleicht nicht klarkommen, sieht Röder nicht dramatisch. Seiner Meinung nach sollte man den Zuhörern schon zumuten, dass sie über manche Aussage, manchen Begriff erst nachdenken müssen. "Wenn wir uns immer nur darauf einstellen, dass niemand mehr uns und unsere Botschaft versteht, dann könnten wir es auch ganz lassen und unseren Anspruch aufgeben", meint Alexander Röder, der auch erlebt, dass Menschen später zu ihm kommen und sagen: "Ich habe Sie nicht verstanden, fand es aber trotzdem interessant und werde mal darüber nachdenken."

Seiner Meinung nach sollte man die Weihnachtspredigt nicht überbewerten: "Die Predigt ist nur ein Teil des Gottesdienstes. Mindestens genauso wichtig sind an diesem Tag das gemeinsame Singen der Weihnachtslieder und das Hören auf die alten Texte, vor allem auf die vertraute Weihnachtsgeschichte. Wie viel das in den Menschen bewirkt, können wir gar nicht ermessen."

Wenn man das so sieht, kann zu Heiligabend für die große Zahl der mehr oder weniger frommen Kirchgänger eigentlich nichts schiefgehen. Keine schlechte Voraussetzung, das Fest der Liebe fröhlich zu feiern.