Der Hamburger Musiker bittet seine Fans seit 16 Jahren zur Vorweihnacht ins Tivoli - und sie kommen immer wieder gern vorbei.

Hamburg. Der Appell war in etwa so sinnvoll, als hätte HSV-Barde Lotto King Karl die Fans im Volkspark aufgefordert, bei "Hamburg, meine Perle" doch bitteschön die Fahnen zu schwenken. "Achtet einfach auf eure Nachbarn", sprach Michy Reincke, "die wissen, was zu tun ist, wenn ich diesen langen Ton singe." Dabei wusste doch jeder im Tivoli nach den ersten Takten, dass zu "Nächte zu Eis" gefälligst die Wunderkerzen zu brennen haben. Man ist ja nicht zum ersten Mal dabei.

Seit nunmehr 16 Jahren bittet Reincke, 53, zur Vorweihnachtszeit ins Tivoli, in diesem Jahr sogar an drei Abenden. Einträge auf seiner Homepage lassen eine hohe Zahl von Wiederholungstätern vermuten - für viele gehört der Michy zur Freude aufs Fest wie Adventskranz und Tannenbaum.

Für einen Künstler ist ein solches Ritual fein - auch sein letzter Tivoli-Auftritt am 23. Dezember ist längst ausverkauft - aber auch durchaus riskant. Denn die hässliche Schwester des Rituals heißt Beliebigkeit. Am Ende könnte es so werden wie bei "Dinner for one". Gehört zu Silvester irgendwie dazu, aber man lacht sich längst nicht mehr scheckig über den besoffen stolpernden Butler James.

Vielleicht ist es der größte Beweis für Reinckes Qualitäten, dass seine vorweihnachtlichen Bescherungen niemals in solchen Ritualen erstarren. Es ist eher wie bei einem richtig guten Klassentreffen. Klar, kennt man die meisten Dönekes. Aber irgendwie klingen sie doch jedes Mal anders. Und fast immer ist jemand dabei, den man erst an diesem Abend richtig kennenlernt.

Nun hat Reincke das Glück, dass er als Gastgeber zu jedem Tivoli-Treff einen neuen Gast aus seinem Rintintin-Plattenlabel mitbringen darf. In diesem Jahr hat Katharina Vogel das große Los gezogen. Zunächst schaut man unwillkürlich nach Sanitätern im Saal, so aufgeregt wirkt die junge Künstlerin. "Könnt ihr sehen, wie meine Beine zittern?", fragt sie. Und dann singt die Hamburgerin so klar und schön über die Liebe und das Leben, dass man - selten genug bei einer Vorgruppe - fast traurig ist, wenn sie für den großen Meister Platz machen muss.

Dann schreitet Reincke auf die Bühne. Entspannt, blendend gelaunt. In diesem Jahr präsentiert er keine neuen Songs, die nächste CD wird erst Ende 2013 erscheinen. Es gibt auch keinen radikalen Stilwechsel wie 2011, als er etwa seine Gassenhauer "Valerie, Valerie" oder "Taxi nach Paris" als Akkustik-Variationen arrangierte.

Die Überraschung an diesem Abend ist der rockige Sound. Reincke macht Druck, mächtig Druck. Seinem formidablen Gitarristen Ralf Denker gönnt er Soloeinsätze, das Bläsertrio macht einen perfekten Job. Zwischendurch erzählt Reincke von seiner geplanten Technik-Revolution für die Facebook-Ü50-Generation: "Für die entwickeln wir Computer mit nur noch vier Knöpfen. Ein, aus, like, kaufen. Das wird ein Geschäft." Eine technische Panne - aus den Lautsprechern knackt es unangenehm - umspielt Reincke charmant: "Liegt an mir, ich bin so aufgeladen, dass die Neonröhren flackern, wenn ich einen Saal betrete."

Dann bittet er natürlich in sein "Taxi nach Paris". Wie jedes Jahr. Das darf beim Tivoli-Treff nicht fehlen, Weihnachten ohne Gans geht ja schließlich auch nicht. "Ich will euch in Unterwäsche auf den Tischen tanzen sehen", ruft er. "Nö, Michy, das willst du nicht wirklich", brummt ein Fan am Nebentisch und tanzt dann eben doch. Reincke wirkt am Ende gerührt, richtig gerührt: "Wir hatten uns so auf diesen Abend gefreut. Und jetzt ist es schon wieder vorbei."

Macht nichts. 2013 trifft man sich ja wieder. Das Taxi ist schon bestellt.