Jonathan Johnson fertigt ungewöhnliche Kollektionen in seinem Atelier. Mit Rocko Schamoni entstand auch Provokatives.

Hamburg. Von dem Physiker Stephen Hawking existiert die hübsche Idee vom Universum in der Nussschale. Das Unendliche auf kleinstem Raum verdichtet. In dieser Konzentration liegt etwas Beruhigendes, auch Faszinierendes. Denn die großen Dinge werden handhabbar, ohne ihre Kraft zu verlieren.

Dieses Gefühl stellt sich ebenfalls bei dem ein, der mit dem Hamburger Schmuckdesigner Jonathan Johnson über seine Kreationen spricht. Gedankenwelten und Geschichte, Emotionen und Natur, Popkultur und Provokationen, ja ganze Szenen und Freundeskreise komprimiert der 36-Jährige in seinen Handarbeiten aus Gold und Silber. Und jetzt, wo sein Domizil in der Neustadt nicht nur Wohnung und Atelier, sondern auch den ersten eigenen Laden beheimatet, scheint auch die Zeit zu einem luxuriösen Gut zusammenzuschrumpfen. Es ist kurz vor Weihnachten. Die Anfragen häufen sich.

"Vergangene Nacht habe ich bis 5 Uhr an einem Anhänger gearbeitet", erzählt Johnson und hält das Kleinod so sorgsam in den Händen, als handele es sich um ein Neugeborenes. Ein dunkles Oval, kunstvoll eingefasst, mit dem Buchstaben M verziert. Eine Auftragsarbeit. "Ich bin etwas müde, ich mach erst mal Kaffee", sagt er und läuft schnell hinüber zum Kiosk auf der anderen Seite der Poolstraße, um Milch zu kaufen. Nicht jedoch, ohne dem Besuch vorher ein Vinylalbum mit Discomusik zur Unterhaltung aufzulegen.

Details, das ist rasch zu spüren, sind Johnson wichtig. In dem schmalen Geschäftslokal in der Hausnummer 20 muten einige der flachen Ausstellungsvitrinen wie die Deckel von Plattenspielern an, während sich das eine reale Abspielgerät unauffällig in die Reihe der Schmuckschaukästen einfügt. Ausgestellt ist da unter anderem die neue Kollektion, die in Kooperation mit Autor, Regisseur, Musiker und Pudel-Club-Mitbegründer Rocko Schamoni entstanden ist. Der Titel: "Scheiße".

Eben jenes Wort hat Johnson in schön geschwungener Schreibschrift zum Goldkettenanhänger gegossen. Kleine Kothaufen wiederum zieren Manschettenknöpfe und Ringe. Genau dort, wo Statusverliebte ansonsten mit einem Diamanten protzen würden. Konventionelles klug konterkariert.

"Das zu tragen erfordert schon Mut", sagt Johnson. Der Kaffee ist mittlerweile fertig. Er nimmt einen Schluck und setzt die Tasse auf dem kleinen Spiegeltisch ab, der im Laden für Gespräche und Betrachtungen bereitsteht. Das Geschirr doppelt sich auf der Fläche. Alles hat mehrere Ebenen. Johnsons Gesicht reproduziert sich in der verspiegelten Wand neben ihm. Braune Augen, braune Haare, Seitenscheitel, akkurater Schnitt. Und ein Gesicht, das auch in hemingwayschen Boheme-Kreisen zu Hause sein könnte.

"Wir wollten das größte Tabu der Menschheit nehmen und es auf den Tisch legen", sagt Johnson über die fäkalen Preziosen. "Andere machen aus Scheiße Gold, wir machen aus Gold Scheiße", erklärt er süffisant. Eine Herausforderung sei es für ihn, aus dem Abwegigsten Schönheit herzustellen.

ZDFkultur, arte und 3sat wollen über die Kollektion berichten. Zur Berliner Fashion Week im Januar 2013 ist er ebenfalls eingeladen worden. Den Stilfetischisten wird in der Hauptstadt dann auch die "Scheiße"-Uhr präsentiert, Johnsons erster selbst gestalteter Zeitmesser.

Natürlich steckt in derart dreistem Design auch jede Menge kongenialer Witz. Aber als reiner Gag sollte Johnsons Schaffen nicht abgetan werden. Vielmehr sind seine Entwürfe Kommentare zur Zeit mit den Mitteln der (Handwerks-)Kunst. So auch die Lehman-Brothers-Kette, die er zu Beginn der Finanzkrise schuf. Und letztlich ist sein Wirken auch ein kritisches Statement der eigenen Branche gegenüber, die der Goldschmied von der Pike auf kennengelernt hat.

Johnson, der im Schwarzwald aufwuchs, wollte eigentlich die Kunstakademie in Karlsruhe besuchen. Doch mangels Geld machte er Praktika als Schreiner, Stuckateur und Zimmermann. Als er schließlich bei einem Goldschmied zur Probe arbeitete, hatte es ihn sofort gepackt. "Die Idee, ein Stück zu zeichnen, zu fertigen und dann direkt selbst tragen zu können, faszinierte mich", erzählt er. Bei seiner Lehre in der Schmuckhochburg Pforzheim lernte Johnson die serielle Herstellung kennen. Und er sah auch, wie die Industrie ihre Produktion zunehmend ins asiatische Ausland verlagerte. Mit viel Verve spricht Johnson über Phänomene wie Globalisierung und Billiglöhne einerseits und dem Wunsch nach Gleichgewicht andererseits. Dabei schiebt er seine Hände energisch hin und her. Als könne die bloße Bewegung bereits für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen.

Johnson ist keiner, der losgelöst von realen Zusammenhängen in der Welt der puren Ästhetik versinkt. Stattdessen setzt der Goldschmiedemeister auf Nachhaltigkeit, arbeitet seit Langem mit recyceltem Silber, Ökostrom und vor allem: vor Ort. Im Keller unterm Laden. Mit Gussmaschine und Schmelzkessel. Und im Hinterraum (vorbei an einer selig betenden Maria), wo die Feinarbeit geschieht. Das Feilen, die Gravuren. Stundenlang. Tagelang. Nächtelang.

Ein Geschmeide, das mit dem bloßem Materialwert blenden will, ist Johnsons Sache nicht. Ebenso wenig die immer gleichen Formen der großen Schmuckmonopolisten, die mehr in Marketing als in Handwerk investierten. "Ich möchte die Leute nicht in einem künstlichen Zustand von Glamour halten, der aber billig produziert ist, als Werbung an jedem Lattenpfahl hängt und keine Botschaft mehr transportiert", sagt er entschieden. "Wenn ich durch die Innenstadt laufe mit all ihren Ketten, das finde ich langweilig, das ist so eine zombieartige Wanderung", sagt er über die zunehmende Seelenlosigkeit der City. Dann fühle er sich wie eine "Persona non grata". Ein Empfinden, das er verschriftlicht auch als dicke Goldbrosche am Revers seines schwarzen Jacketts trägt. Johnson kreiert eher Haltung als Dekor. Und er fühlt sich dabei den Traditionen von Jugendstil und Renaissance verpflichtet.

In der baden-württembergischen Heimat stieß Johnson mit seinen radikalen Ansätzen bald an Grenzen, weshalb er - angezogen von der Szene rund um den Pudel-Club am Fischmarkt - nach Hamburg zog. Über Stationen in Wilhelmsburg, Eimsbüttel und der Schanze gelangte er schließlich in die Neustadt. Und für seine 2013er-Kollektion "Life After Death" findet er unter anderem Inspiration im benachbarten Planten un Blomen. Regelmäßig durchstreift er auf Spaziergängen den urbanen Park. Pflanzen, Tiere, Menschen und Universum sind die Themenfelder, die Johnson da verhandelt und zu zeitlosen Wegbegleitern formt. Denn der Gestalter kann nicht nur die stilvolle Brüskierung.

Naturfunde vergoldet er zu filigranen Skulpturen. Miniaturen von Panther, Biene und Einhorn schnitzt er Charakter ein. Ebenso einem vierpfotigen Anstecker für eine lederne Umhängetasche der Hamburger Designerin Anna Fuchs. Ein gutes Beispiel dafür, dass Johnsons Liebe zum Detail nicht beim Gegenständlichen haltmacht, sondern sich auch auf seine Kontakte erstreckt.

Für den Kunstverein erstellte er mit "Nunsploitation" eine der Jahresgaben: eine Nonne, die ihre Sexualität offenbart. Für den neuen Duft wiederum, den die Hamburger Parfümeurin Kim Weisswange mit dem DJ-Kollektiv Lovegang entwickelte, gestaltete er den Verschluss des Flakons. Wohlgeruch, Musik, Design in einer Flasche. Wieder so ein Universum, das sich tragen lässt.

Jonathan Johnson Poolstraße 20; Info: www.jonathanjohnson.de; Teile der Kollektion sind auch erhältlich in der Hanseplatte, Neuer Kamp 32