Bei den Elfi-Konzerten will das Ensemble Resonanz Säuglingen und Kleinkindern klassische Musik nahebringen - etwa in der Kulturkirche Altona.

Hamburg. Otto ist friedlich. Der acht Wochen alte Säugling liegt in den Armen seiner Mutter und fixiert vor allem sie mit seinen strahlend blauen Augen. Das Gewusel um ihn herum nimmt er nur am Rande wahr. Da krabbeln andere Kleinkinder behände über bunte Matratzen und Decken, andere wackeln ein paar Schritte und fallen dann auf ihren Windelpo. Mütter halten Säuglinge in Richtung der Bühne hoch und flüstern auf sie ein. "Gleich kommen Musiker und spielen für uns", sagt eine Frau mit Spucktuch über der linken Schulter zu ihrem Filius. Der Kleine kann mit dieser Information sicher kaum etwas anfangen, es ist eher die sonore Stimme der Mutter, die ihn beruhigt.

Vor der Bühne in der Kulturkirche Altona sieht es ein wenig so aus wie bei Open-Air-Konzerten, nur die Kleinkinddichte ist deutlich höher. Der Geräuschpegel ist ebenfalls im orangen Bereich, nicht alle Kinder sind so ruhig wie Otto oder Jasmin, die auf den Oberschenkeln ihres Vaters steht und neugierig seine Ohren untersucht. Einige der lautesten Schreihälse werden von ihren Eltern in den hinteren Teil des Kirchenschiffes getragen, denn Kirche und Konzert steht bei Erwachsenen für Ruhe und Konzentration - sechs Monate alten Säuglingen ist diese Kombination allerdings noch herzlich egal.

In wenigen Minuten wird das Ensemble Resonanz das erste von fünf Elfi-Konzerten spielen. Der Mädchenname dieser Auftritte für Babys bis zu einem Jahr und Schwangere leitet sich aus Elbphilharmonie ab. Kompass, das pädagogische Team der Elbphilharmonie, hat diese Babykonzerte vor drei Jahren entwickelt und bietet sie zweimal im Jahr in fünf Hamburger Stadtteilen an. Außer in Altona spielt das Kammerensemble noch in Wilhelmsburg, Sasel, Wandsbek und Barmbek.

Die elf Musiker betreten die Bühne und legen gleich mit Pietro Locatellis Concerto grosso los. Die Eltern, überwiegend Mütter, spitzen die Ohren und versuchen den Spagat zwischen Hinhören und Aufpassen. Denn der Nachwuchs geht auf Entdeckungsreise. Zwei blonde Jungs entern die zwei Stufen des Podiums und krabbeln zielstrebig auf eine der Geigerinnen zu, auf der anderen Seite der Bühne ist ein anderes Kind ausgebüxt und wird vom Vater gerade noch weggepflückt, bevor es sich an Steckdosen und Kabeln zu schaffen machen kann. Geheult wird nur noch im hinteren Teil der Kirche, auch viele Kinder lauschen der Musik und spüren die Vibrationen im Raum.

Die Musiker lassen sich von der Unruhe um sie herum nicht aus der Fassung bringen, konzentriert spielen sie ihr Programm, das mit den vielen barocken Stücken vorweihnachtliche Stimmung erzeugen will.

"Ich bin hierhergekommen, weil der kleine Otto Musik mag. Als junge Mutter ist es oft schwer, das Haus zu verlassen. Hier ist aber für alles gesorgt, Wickeltisch, Stillbereich und Krabbeldecke. Außerdem fühlt sich niemand belästigt, wenn ein Kind mal schreit", sagt Alessa Pieroth. Die 30-Jährige ist neugierig auf das Elfi-Konzept und auch auf das Ensemble Resonanz. Ob ihr Sohn nach seiner ersten Konzerterfahrung später klassische Musik hören wird, da ist sie skeptisch. In der Wissenschaft wird das anders gesehen. "Ich bin mir sicher, dass so ein Konzerterlebnis eine emotionale Wirkung auf ein Baby hat", schreibt Ann-Barbara Steinmeyer, Professorin für elementare Musikpädagogik an der Musikhochschule Stuttgart, in der "Ärztezeitung". Dass klassische Musik auf Babys einen ganz besonderen Zauber ausübt, glauben auch die Kompass-Mitarbeiter.

In der Kulturkirche stimmt das Ensemble Resonanz Arvo Pärts "Cantus in memoriam Benjamin Britten" an, ein Werk der Neuen Musik, das ganz leise beginnt. Doch der zarte Anfang geht im lauten Krähen der jüngsten Konzertbesucher unter. Auch das "Pssst", das Jasmins Vater seiner zunehmend unruhiger werdenden Tochter zuflüstert, stößt auf keine sonderliche Resonanz. Otto ist derweil mit intensiver Verdauung beschäftigt und wird von seiner Mutter an den komfortablen Wickeltisch im Seitenschiff getragen. Doch wohin mit der Windel? Ein Mülleimer fehlt.

Auch zwei Weihnachtslieder gehören zum 45 Minuten langen Konzert. Der elterliche Gesang kommt eher schüchtern daher. Viele Mütter sind zunehmend damit beschäftigt, ihren Nachwuchs ruhigzustellen, während das Ensemble Matthias Monns Symphonie in G-Dur als letzten Programmpunkt intoniert. Die Laute, die zwischendrin wie ein Ruf-Antwort-Spiel zwischen Orchester und Babys klangen, werden deutlich zorniger und signalisieren eindeutig "Hunger!" Die Musiker werden mit freundlichem Beifall entlassen, und etwa 60 Kinderwagen und Karren zerstreuen sich in alle Winde. Auch mit Ottos Contenance ist es vorbei. Statt Bach fordert er Milch.

Die nächsten Elfi-Konzerte gibt es im April 2013. Infos unter www.kompass.elbphilharmonie.de