Die Tanzperformance der Choreografin Antje Pfundtner interpretiert den Ballettklassiker als assoziative, einfallsreiche Szenencollage.

Hamburg. Hier sind die Dinge nicht, was sie scheinen. Das beginnt mit dem Titel "Nussknacker", uraufgeführt in der größten Kampnagel-Halle. Wer ein Corps de Ballet in Spitzenschuhen erwartet, ist am falschen Platz. Antje Pfundtner tritt in ihrer 70-minütigen, nicht gerade leicht zugänglichen Tanz-Performance barfuß mit acht Tänzern und Akteuren auf. Und überrascht am Schluss mit einem großen Amateurchor-Aufgebot.

Ihre Szenencollage hat wenig mit dem bekannten Tschaikowsky-Klassiker zu tun. Allerdings ließ sich die zeitgenössische Hamburger Choreografin durch das Ballett inspirieren. Sie verwendet zwar Musik und Motive - Märchen, Chor, Weihnachten, Verwandlung der Puppe, Wunsch- und Schreckensträume - daraus, benutzt sie jedoch als Folie für eigene Erinnerungen und Reflexionen über die Kindheit und die Tanzkunst. Der Komponist und Musiker Sven Kacirek arrangierte und verfremdete einige Tschaikowsky-Hits mit Klavier, Marimba, Vibraphon und weiterem Schlagwerk, wie er es in der Sound-Video-Installation "If it's cracked, you can move it" auf vier Monitoren im Foyer demonstriert.

Die Choreografin erscheint im Spalt des geschlossenen Vorhangs, erinnert sich an ihre Geburtstage und den über Jahre unveränderten Adventskranz der Familie mit Engeln, Hirten, Schafen und Vögeln. Während der ältere Bruder meckert, was die Piepmätze da zu suchen hätten, fragt sich Pfundtner: "Welche Figur will ich sein?" Das "Sesam öffne dich" in die persönlichen Vorstellungswelten der Choreografin. Wie eine Zauberin posiert sie im Hintergrund und beschwört die Ängste, Kapriolen und Späße ihrer Alter Egos herauf und legt dabei probenartige Prozesse für das "Stück" offen.

Einige (vielleicht zu erwachsene) Besucher werden mit den flüchtigen Skizzen und figurativen Tableaux, synchronen Tanzpassagen, grotesken Masken, den Wiederholungen und Rückverweisen wenig anfangen können. Anderen dürften die Bewegungsbilder vor der himmelhohen Wolkenwand aus farbigen Tüllballen (Ausstattung: Sabine Kohlstedt/Yvonne Marcour) mit den Anspielungen auf das Ballett und ja, auch auf den "Nussknacker", als Aufforderung für eine kurzweilige Reise in die eigene (kindliche) Vergangenheit nehmen.

Wer frühere, bildende Kunst, Körperskulpturen und Text einsetzende Arbeiten Pfundtners kennt, den überrascht ihr "Nussknacker" nicht. Sie verfolgt konsequent und einfallsreich ihr assoziativ-biografisches Tanztheater, erweitert es hier um profilierte Performer: Dani Brown (frech, clownesk, präsent, stets ein Blickfang), Jenny Beyer (als selbstvergessen kreiselnde "Ballerina"), den skurrilen springteufligen Blondschopf Matthew Rogers, die mimisch krass entgleisende Regina Rossi und "Drosselmeier" David Vossen. Er entspringt geisterhaft dem bunten Glaskugelbaum und bittet: "Schließen Sie die Augen."

Pfundtner fordert die Zuschauer auf, mit ihr auf der "Spielwiese Bühne" zu träumen. Und lässt zum Schluss einen unter ihnen platzierten Chor die Melodie des "Grand Pas de deux" von den "da da da" singenden Performern übernehmen. Der Funke springt von der Rampe über in den erhellten Saal und beschert doch noch ein großes Ballett-Finale - wenn auch eines der etwas anderen Art.

"Nussknacker" bis 15.12., jeweils 20.00, Kampnagel, Karten unter T. 27 09 49 49

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