„Billie Holiday For Ever”: Jazzsängerinnen erweisen in einer sehr schönen Hommage einer der Stimmen des Jahrhunderts ihre Reverenz.

YouTube killed the movie star. Das meiste von dem, was die sehr schöne, sehr französische Hommage "Billie Holiday For Ever" auf Arte an dokumentarischem Material zeigt, ist im Internet nur einen Klick weit entfernt. Vielleicht war dies der Auslöser für den Regisseur Frank Cassenti, anstelle einer Doku lieber einen biografisch-musikalischen Essay über die Sängerin zu drehen und darin nur wenige Originalaufnahmen mit ihr zu verwenden.

Zudem hinterließ die 1959 mit erst 44 Jahren und unter armseligen Umständen gestorbene Sängerin mit "Lady Sings The Blues" eine erschütternde Autobiografie. Die von leidvollen Erfahrungen geprägten Aufzeichnungen über Kindheit und Jugend einer Schwarzen in Amerika, deren Urgroßmutter noch auf einer Plantage als Sklavin gehalten wurde, bilden den Resonanzraum dieses Films. Er wird zum Klingen gebracht von sechs Sängerinnen, die sehr unterschiedlich sind in Alter, Stimmlage, Timbre und Herangehensweise an die Musik. Patricia Barber, La Velle, Sandra Nkaké, Leena Conquest, Cecile McLorin Salvant und Sarah Quintana feiern in Songs wie "God Bless The Child", "Strange Fruit" oder "Lady Sings The Blues" den Mythos Billie, wobei sich die Kamera vor lauter Nähebedürfnis bei mancher von ihnen fast in den Nasenlöchern verbohrt. Einige dieser Sängerinnen tragen aus ihrer mehr oder weniger zerlesenen Ausgabe von "Lady Sings The Blues" Passagen vor. Sie alle lieben und verehren Billie Holiday, an der laut Patricia Barber keiner vorbeikommt, der sich mit Jazz beschäftigt, und deren Stimme La Velle als ein Weinen ohne Tränen beschreibt.

Billie Holidays herzzerreißender Sound war zuallererst ein in Musik verwandelter Schmerzensschrei über den Rassismus in den USA, aber er artikulierte sich auch als sehnsuchtsvoller, von Bitterkeit gefärbter Ruf nach Liebe. Eben weil Billie Holiday keine auf ihren Stimmbändern tänzelnde Virtuosin wie etwa Ella Fitzgerald war, geht ihr Gesang auch vielen Menschen, die keine Jazz-Fans sind, unter die Haut - gleich welcher Farbe. Doch wer den Jazz mag, wird ihn nach diesem Film noch mehr mögen. Es ist beglückend zu sehen und zu hören, wie der Geist, die Ernsthaftigkeit und Berührungsintensität dieser Jahrhundertfigur in später geborenen Sängerinnen fortleben. Der schönste Moment aber stammt doch aus einer Originalaufnahme: das wissende, glückliche Lächeln von Billie Holiday beim unverschämt erotischen Solo von Lester Young in "Lady Sings The Blues".

"Billie Holiday For Ever", Arte, Mittwoch 21.55