Wenn gar nichts mehr geht, hilft am Ende immer der Zauberer: Der erste Teil der zweiten Tolkien-Trilogie läuft ab Donnerstag im Kino

Hamburg. Sie sind nur halb so groß wie Menschen, und sie haben eine Scheu vor den "Großen Leuten", so nennen sie uns. Außerdem sind die Hobbits, das schreibt J.R.R. Tolkien gleich am Anfang seines berühmten Buchs, noch kleiner als bärtige Zwerge. Und: "Sie neigen dazu, ein bisschen fett in der Magengegend zu werden." Sie haben aber die Gabe, sich rasch dünne zu machen, wenn Menschen und andere grobe Wesen in ihre Nähe kommen.

Das Wesen des Hobbits ist also grundsätzlich auf Zurückhaltung gepolt. Das kann man von seinem Verwandten in Menschengestalt nicht unbedingt behaupten, und so ist die am Donnerstag pünktlich zum Weihnachtsgeschäft anlaufende Verfilmung von Tolkiens Roman "Der Hobbit" eine in jederlei Hinsicht maßlose und bombastische Angelegenheit, also der spätestens seit Peter Jacksons Film-Trilogie "Der Herr der Ringe" weltweit grassierenden Hobbit-Manie absolut angemessen. Fast drei Stunden verteidigt der Hobbit - diesmal muss er auf seine drolligen Gefährten verzichten - das Fantasie-Land Mittelerde, in dem paradiesische Orte genauso Platz haben wie alle möglichen Formen der Hölle. Jedoch ist in diesen 169 Minuten am Ende noch nichts gewonnen, weshalb der Oscar-Gewinner Jackson demnächst noch zwei weitere "Hobbit"-Filme drehen wird: Zwei Trilogien sind besser als keine, mag er sich denken.

Und Abermillionen Tolkien-Fans mit ihm. Sie werden es gutheißen, dass Jackson, der technikbegeisterte (noch nie kamen so leistungsstarke Kameras in einem Film zum Einsatz) und megalomanische Filmemacher erneut zum visuellen Epiker wird. Der englische Mediävist und Philologe Tolkien (1892- 1973), dessen Vorfahren aus Niedersachsen stammten, ist einer der erfolgreichsten Autoren der Literaturgeschichte. Schätzungen gehen davon aus, dass sich von seinen beiden wichtigsten Werken, dem "Hobbit" (erschienen 1937) und "Der Herr der Ringe" (1954/55) etwa 250 Millionen Exemplare verkauften. Die drei Filmteile von "Der Herr der Ringe" spielten fast drei Milliarden Dollar an den Kinokassen ein.

Anders ausgedrückt: Die Pimpfe mit den großen Ohren und klobigen Füßen sind feste Größen in der Populärkultur. Wenn überhaupt, dann konnte ihnen zuletzt allenfalls der Zauberlehrling Harry Potter das Wasser reichen, von dem sich Kinder und Erwachsene ebenfalls bereitwillig in Fantasiewelten verfrachten lassen.

Die Fantasiewelt Tolkiens ist auch in der Kino-Adaption des "Hobbits" ein brutaler und grausamer Ort, der von blutsaufenden, gallertartigen, ekligen und ganz und gar unsympathischen Wesenheiten bevölkert ist. Die widerlichsten von ihnen heißen Orks. Sie übernehmen im ersten "Hobbit"-Film die Rolle der Antipoden von Bilbo Beutlin, dem Ur-Hobbit, und seiner Truppe. Die besteht aus dem Zauberer Gandalf und einem Dutzend Zwerge, denen ein Drache namens Smaug einst das Zuhause nahm: das heilige Erebor. Es geht bei Tolkien eigentlich immer um Heimat und die eigene Scholle, um Landgewinne und Identitätsverluste. So auch im neuen Film, der mithilfe grandioser Naturbilder (gedreht wurde wie immer in Neuseeland) und umwerfender Computervisualisierungen, aber auch einem zum Endkampf hochgejazzten Plot eine bemerkenswerte Interpretation der literarischen Vorlage darstellt. Hey, "Der kleine Hobbit" (deutscher Titel) ist doch eigentlich ein Kinderbuch!

Und die Fantasie ist bekanntlich - dafür ist ihnen der ewige Neid der Erwachsenen sicher - das Reich der Kinder. In mancherlei Hinsicht sind die Tolkien-Filme zwar eher für Erwachsene gemacht (diese Gewaltarien!), aber ganz grundsätzlich ist das Abstraktionsniveau der Fantasy-Abenteuer natürlich vor allem erst mal niedrig. Die Tolkien-Industrie (Hobbit-Kostüme gibt es auch in Übergrößen) weiß die freiwillige Infantilisierung erwachsener Menschen zu schätzen, und man muss sich ja auch nicht schämen, wenn man mit dem Oberzwerg Thorin Eichenschild zittert, weil gerade ein Bluthund mit erlebnisorientiertem Herrchen auf seinem Rücken auf ihn zugaloppiert.

Was allerdings sagt es über unsere Zeit aus, wenn Millionen Fans auch in Deutschland ins Kino rennen, um genau das zu sehen?

Zum Beispiel, dass Mittelalter-Stoffe ihren Effekt verdoppeln, wenn sie märchenhaft daherkommen. Und dass die Funktion von Literatur und Film zu allen Zeiten nicht nur in der Darstellung realistischer Welten besteht, sondern auch darin, Fluchthelfer zu sein in einen vollends erfundenen Kosmos. Außerdem braucht diese Zeit wie jede andere Helden, und bei Tolkien darf speziell der buchstäblich zu kurz Gekommene heroisch Geschichte schreiben. Die Hobbit-Geschichten erzählen vom archaischen Kampf des Guten gegen das Böse, sie erzählen von Freundschaft, Passion, Liebe und Hass, Rache und übersinnlichen Mächten.

Wenn gar nichts mehr geht, hilft am Ende immer der Zauberer. Damit entscheidet er die Schlacht, die in immer anderen Variationen bald noch zwei weitere Teile hin- und herwogt.