Ein Mann des Glaubens: Matthias Matussek beschwört in seiner Erzählung “Die Apokalypse nach Richard“ die heilsame Kraft von Weihnachten.

Hamburg. Eine Familie kommt zu Heiligabend unter dem Christbaum zusammen, um das Wunder des Glaubens zu feiern: So könnte man die Handlung des neuen Buchs von Matthias Matussek zusammenfassen. "Die Apokalypse nach Richard" (Aufbau-Verlag) ist ein schönes, beinah besinnliches Buch, "Eine festliche Geschichte", wie es im Untertitel heißt, und nur manchmal provokativ. Das kennt man anders von Matussek, dem Erregungsjournalisten und Autor im Kulturteil des "Spiegels". Vor zwei Jahren focht er mit seinem "Katholischen Abenteuer", einer zwiespältig aufgenommenen Kampfschrift, mit heißem Herzen für die Sache des Glaubens. Um den geht es ihm immer noch.

Hamburger Abendblatt: Sie gelten als publizistischer Unruhestifter. Wie sehr ärgern sie sich über Kritik an ihren Büchern oder Texten im allgemeinen und den vergangenen beiden Veröffentlichungen im besonderen?

Matthias Matussek: Ich bin Kritik gewohnt, und ich habe mittlerweile fast zwei Dutzend Bücher geschrieben. Die letzten drei Themen waren: Familie, Nation, Glaube. Drei Tretminen. Ärgerlich ist es, wenn falsch zitiert wird, oder wenn die Kommentare dumpf sind. Oft kommt beides zusammen.

Ein meinungsstarker Autor und Blogger muss auch einstecken können.

Matussek: Aber klar. Im übrigen machen Auseinandersetzungen ja auch Spaß. Gegnerschaft kann auch stimulieren. Heine oder Börne oder Kraus, um drei ganz Große zu nennen, sind zu Hochform aufgelaufen, wenn sie sich geärgert haben.

Fehlt es in unserer schnelllebigen Zeit, in der sich in den Blogs und Kommentarspalten beharkt wird und schon morgen vergessen ist, was heute gelesen und gesagt wurde, allzu oft das klare Bekenntnis, der unwiderufliche Standpunkt? Ist Bekenntnisliteratur wieder en vogue?

Matussek: Tatsächlich hängt mir die Dauerironie unseres Betriebs manchmal zum Halse raus. Dieses hippe oberschlaue Kolumnistenzeug. Diese Fünf-Minuten-Terrinen, die uns als Welterklärungen serviert werden. Da finde ich solche spannend, die die Hacken eingraben, und sagen: Daran glaube ich, dafür opfere ich mich.

Auch Ihr neues Buch dreht sich – in gewissen Teilen - um den Glauben. Sie sind immer noch auf Mission!

Matussek: Nein, sicher nicht. „Die Apokalypse nach Richard“ ist eine Weihnachtsgeschichte und eine Familiengeschichte. Und diese Familie ist eben katholisch. Ich will niemanden bekehren, es sei denn dazu, sich den Wundern des Lebens zu öffnen. Sicher gehören Wunder zum Glauben. Im übrigen ist es ein Hamburg-Buch. Die Leser werden die Villen der Hochallee wieder erkennen, meine Heimatkirche St.Elisabeth, den Isemarkt, die Grindelalle, und vieles mehr.

Ihr neues Werk ist eher ein leises Buch, verglichen mit „Das katholische Abenteuer“. Vor zwei Jahren war das Echo groß.

Matussek: Das lässt nur einen Schluss zu: Die Kritik will angebrüllt werden, und das ging natürlich mit so einem thesenstarken Buch leicht. Aber es geht mir nicht in erster Linie um die Reaktionen des Feuilletons…

…das Ihnen unlängst wieder vorgeworfen hat, Sie hätten mit Ihrer Begeisterung für die Kirche nur eine Marktlücke entdeckt.

Matussek: Ein eigenartiger Vorwurf, dass ein Buch über den Glauben eine Marktlücke wäre – bei knapp 50 Millionen Kirchensteuer zahlenden Christen. Aber der gleiche Kritiker fand diese Novelle nun „federleicht dahingetupft“. Also ich bin doof, aber die Novelle ist spannend. Ist doch besser, als wenn er gesagt hätte, der Typ ist nett, aber sein Buch taugt nichts. Er war offenbar versöhnt. Im übrigen: wenn ich mir unbedingt ein populäres Sujet aussuchen wollte, dann doch etwas anderes als den Katholizismus! Wer für den eintritt, der begeht öffentlich Selbstmord. Da hat man es in unseren Feuilletons als muslimischer Autor leichter. Wenn es in unserer Gesellschaft um Glauben geht, sind viele ja peinlich berührt. Wieso eigentlich? Sicher, auch in der „Apokalypse nach Richard“ geht es um den Glauben. Aber offenbar funktioniert die Geschichte universeller. Eine Kritikerin verglich sie mit den Novellen von Hanif Kureishi, und der ist kein Katholik. Damit kann ich leben. Aber es gab immer schon Autoren, die im Echoraum des katholischen Glaubens tolle Romane abgeliefert haben, zum Beispiel Walker Percy.

Und in diese Tradition wollen Sie sich jetzt einreihen?

Matussek: Na ja, Walker Percy ist ein Gigant. So wild, so poetisch, so unbekümmert gläubig, so weise. Aber auch mein Richard ist ja weise, er driftet als Familienpatriarch in eine ganz andere Welt ab, er hat eben dieses unerschütterliche Gottvertrauen und erwartet an Heiligabend die Wiederkehr des Herrn, wie sie der zweite Petrusbrief ankündigt: mit Feuer und Posaunenschall. Er hat apokalyptische Visionen und fühlt, dass das Ende in der Luft liegt. Wie reagiert er darauf? Er sammelt seine Familie. Wenn die zusammen ist, wird schon nichts Schlimmes passieren. Im übrigen weiß er: die Apokalypse ist auch ein großer Hoffnungshymnus, schließlich kommt der Herr in Herrlichkeit.

Es ist ausgerechnet Heiligabend, an dem Richard die Seinen um sich schart. Die Konflikte ruhen für einen Abend, es wird besinnlich. Gehört Kitsch zu Weihnachten ein bisschen dazu?

Matussek: Ich hoffe nicht, dass der Roman kitschig ist – aber sicher versöhnlich und fröhlich. Zunächst sind die Figuren ja Zerrissene. Und die machen sich auf den Weg. Da ist Richards Sohn Bill, ein zynischer Banker, der mit den Problemen der Finanzwelt gerade genug zu tun hat und sich jetzt von fern an Urbilder wie Himmel und Hölle erinnert. Dann der verwöhnte Enkel aus dem Internat, die geschiedene Schwiegertochter, dann Roman, ein impulsiver Journalist, ziemlich düster, polemisch, asozial – eben so wie viele meiner Kritiker mich sehen (lacht). Hat mir großen Spaß gemacht, die Figur.

Roman ist tatsächlich leicht als eine Art Alter ego von Matthias Matussek zu identifizieren. Roman glaubt, dass der Katholizismus „die letztmögliche Form des Widerstands“ ist, er gilt in seiner Redaktion als Sonderling. So wahrhaftig sein religiöses Anliegen zu sein scheint, blitzt bei den Beschreibungen Romans doch immer auch ein wenig Selbstironie auf. Ein Glaubensfundamentalist wollen Sie dann doch nicht sein.

Matussek: Roman kann leider nicht über sich lachen, aber sein Glauben ist ihm wichtig, und das hat natürlich auch komische Seiten.

Dem Buch mangelt es nicht an Humor, und das Ende ist surrealistisch. Geht die Welt wirklich unter?

Matussek: Das bleibt offen. Richard, der wie wir alle auf Erlösung hofft, geht hinüber in einen anderen Zustand. Ob er erlöst wird? Kommt wirklich das Weltgericht? Oder wird nur einfach das Haus zusammenbrechen?

In Ihrem Roman kommt an Heiligabend auch noch ein Kind zur Welt. Wirklich nicht kitschig?

Matussek: Stimmt, das könnte das 24. Türchen aus dem Weihnachtkalender sein! Wenn die Familie an Heiligabend „Stille Nacht, heilige Nacht“ singt, wird die Szene aber gebrochen, denn das Festmahl der Familie kommt von McDonalds.

An einer Stelle vergleichen Sie die Wirkung von „Stille Nacht“ mit der Internationalen. Das Weihnachtslied schneidet viel besser ab – weil es ein Lied der „kleinsten und robustesten Zelle der Gesellschaft“ ist, der Familie. Komischer Vergleich.

Matussek (lacht): Das ist wohl eine Frage der Generation! In meiner Alterskohorte waren wir geprägt von einer festen ideologischen Zurichtung, in der nur die Klassenzugehörigkeit zählt. Familie zählte dagegen gar nicht, das war kleinbürgerlich. Heute sehe ich das anders. Heute ist die traditionelle Familie im Schwinden begriffen, wir haben eher mit Patchwork-Familien wie der in „Die Apokalypse nach Richard“ zu tun. Die haben ihre eigenen Probleme. Aber die Familie ist kein Zwangssystem, wie viele hippe Journalisten behaupten. Und das Weihnachtsfest ist eine schöne Beschwörung der Familie. Familie ist nie vorbei, sie wird wieder wichtiger. Hoffe ich.

Sie glauben unbedingt an Weihnachten – trotz Konsumterror?

Matussek: Ach, ich habe auch Geschenke gekauft, ist doch in Ordnung – wenn wir nicht den Kern aus den Augen verlieren: dass Gott Mensch geworden ist, und mit Christi Geburt tatsächlich eine neue Zeitrechnung beginnt. Eine gewaltige Erschütterung. Ansonsten: Wir alle sind zu Weihnachten entschlossen, bessere und nettere Menschen zu sein. Das ist doch wunderbar.

Matussek liest 8.12., Langenhorn (Kirche Hl. Fam., 11.15); 9.12., Harvestehude (St. Elisabeth, 15.30).

Matthias Matussek: "Die Apokalypse nach Richard". Aufbau-Verlag, 189 Seiten, 16,99 Euro