Gerhard Henschel liest am 1.12. im Polittbüro aus seinem “Abenteuerroman“

Das Leben ist ein Fluss. Nicht unbedingt ein ruhiger, ein langer meist aber schon. Und auf ihm lässt sich seit einigen Jahren Martin Schlosser treiben, das Alter Ego von Autor Gerhard Henschel, geboren 1962. Das Bild vom langen ruhigen Fluss, es passt auch zum Grundton der oft mehr als 500 Seiten starken Bücher: Nicht auf dramatische Zuspitzung, auf Cliffhanger, setzt Henschel, sondern auf eine Art Collagetechnik, auf lakonischen Witz und natürlich auf das "Ach ja, genau so war's"-Gefühl seiner Leser, die inzwischen auch die 50 erreicht haben oder jedenfalls kurz davor sind.

Wurden in "Kindheitsroman", "Jugendroman" und "Liebesroman" Schlossers/Henschels Kinder- und Jugendjahre abgehandelt, ist jetzt, im "Abenteuerroman", der junge Erwachsene dran, der endlich seine erste Freundin (Heike) und damit - ganz wichtig! - seinen ersten Sex hat. Gerade dieses Thema sorgt allerdings auch für viel Verdruss, denn Heike führt häufig lieber Beziehungsdiskussionen, als sich beherzt dem Austausch von Körperflüssigkeiten hinzugeben. Befeuert von damals - es sind die beginnenden Achtziger - enorm angesagter "Frauenliteratur" wie Verena Stefans "Häutungen" oder Svende Merians "Der Tod des Märchenprinzen". "Wenn du willst, dass ich mich tiefer auf dich einlasse, dann musst du mir auch mehr von dir persönlich zeigen" ist so ein Satz, den Heike dann sagt. Nicht gerade das Intro für eine unvergessliche Nacht ...

Und sonst? Passiert noch eine ganze Menge. Franz Josef Strauß wird Kanzlerkandidat, in den "2001"-Läden ist die düstere Zukunftsprognose "Global 2000" ein Bestseller, und wer eine neue Hose braucht, kauft bei Leffers. Immer mittendrin: Chronist Martin Schlosser aus dem bleiern langweiligen Meppen. Der beschließt, zum Bund zu gehen, um Material für ein Enthüllungsbuch zu sammeln, das er zwecks Vorabdrucks dem "Spiegel" anbietet. Erfolglos übrigens. Später verweigert er dann doch den Kriegsdienst, ärgert sich als Zivi mit einem renitenten Querschnittsgelähmten herum, kämpft sich durch die Weltliteratur und registriert hocherfreut das desaströse Wahlergebnis der FDP in Hamburg (2,6 Prozent).

573 Seiten hat Henschels "Abenteuerroman", aus dem er am Sonnabend gemeinsam mit Harry Rowohlt und Frank Schulz im Polittbüro liest. Es könnten auch 826 oder 1407 sein, man würd's kaum merken, so verlässlich unaufgeregt fließt der Erzählstrom dahin. Schweigekreise für den Weltfrieden, Anti-Atom-Proteste, das Aufkommen der Neuen Deutschen Welle: Man war dabei und erinnert sich gern.

Jetzt ist nur wichtig, dass Gerhard Henschel weiterschreibt an dieser ganz besonderen Kulturgeschichte, denn schließlich wollen wir doch wissen, wie es mit seinem Martin Schlosser weiterging. Ob er das Studium abschloss, sich vielleicht für Hip-Hop zu interessieren begann und vor allem: Ob irgendwann ein Ersatz für Beziehungsanalytikerin Heike in Sicht kam.

Gerhard Henschel "Abenteuerroman" Sa 1.12., 20.00, Polittbüro (U/S Hbf.), Steindamm 45, Eintritt 15,-/10,-; www.polittbuero.de