Der Hamburger Regisseur Tristan Chytroschek gewinnt für seinen Dokumentarfilm “Musik als Waffe“ einen International Emmy.

Hamburg/New York. "Ich habe es nicht geglaubt", wundert sich Tristan Chytroschek noch heute. Der Hamburger Dokumentarfilmer hat in New York vor einigen Tagen einen International Emmy gewonnen. Er bekam dort den Preis für seinen Film "Musik als Waffe", in dem er anprangert, wie in amerikanischen Gefängnissen die Insassen auch mit laut abgespielten Songs gefoltert werden. Die Auszeichnung kam für ihn ebenso überraschend wie die Nominierung, denn er hatte seinen Film gar nicht selbst eingereicht.

Für "Musik als Waffe" hat Chytroschek den Amerikaner Christopher Cerf als Protagonisten gewinnen können. Der Musiker arbeitet als Komponist seit 40 Jahren für den Kinder-TV-Klassiker "Sesamstraße". Die Musik, die in Gefängnissen wie Guantánamo oder Bagram gegen Gefangene eingesetzt wird, ist zwar meistens härterer Natur wie etwa von Rammstein oder Drowning Pool, aber es werden auch "Sesamstraße"-Lieder gespielt. Durch permanente Beschallung soll der Wille der Gefangenen gebrochen werden. Cerf ist darüber entsetzt, was mit "seiner" Musik geschieht. Er spricht im Film mit Musikforschern, einem ehemaligen Guantánamo-Häftling und Verhörexperten, unterzieht sich auch selbst einem gestellten Verhör unter erniedrigenden Bedingungen.

Den ersten Anstoß zu seinem Film, der bisher erst einmal auf Arte zu sehen war, demnächst erneut im ZDF gezeigt werden soll, aber auch auf YouTube zu finden ist, bekam Chytroschek, als seine 1933 geborene Mutter beim Aufräumen ein altes Buch wiederfand. "Wir Mädel singen" steht auf dem verwitterten Einband. Darin sind neben Folklore auch Propagandalieder abgedruckt. "Das war echt perfide von den Nazis", fand ihr Sohn über diese Form der Indoktrination. Er wollte deshalb einen Film über "die dunkle Seite der Musik" drehen. Konkreter wurde die vage Vorstellung, als er von den musikalischen Foltervorwürfen hörte. Erst vor Kurzem hat der CIA entsprechende Geheimdokumente über das im Militärjargon als "no touch torture" (berührungslose Folter) bezeichnete Verfahren veröffentlicht. Natürlich macht der Film auch einen historischen Exkurs, denn Musik wird schon seit Jahrhunderten in Kriegen eingesetzt, um Gegner zu beeindrucken und den eigenen Korpsgeist zu stärken.

Dass der 44 Jahre alte Regisseur den Preis ausgerechnet in den USA gewann, ist natürlich nicht ohne Pikanterie. Kein US-Sender wollte die Dokumentation ausstrahlen. Das tat stattdessen der arabische Nachrichtensender al-Dschasira, den man über Satellit auch in den USA empfangen kann. 20 Zeitungen berichteten anschließend über den Film, "von der 'Huffington Post' bis zur 'New York Times'", wie Chytroschek nicht ohne Stolz berichtet. Auch der brasilianische Sender TV Globo war dabei.

Das fand man beim ZDF offenbar so gut, dass die Mainzer den Film für einen Emmy einreichten - ohne den Regisseur zu informieren. Der fiel aus allen Wolken, als er von der Nominierung erfuhr. Er lieh sich für die Gala in Eppendorf einen Smoking und genoss die Veranstaltung mit Blitzlichtgewitter und rotem Teppich. "Als Dokumentarfilmer ist man ja nicht gerade Glamour-verwöhnt. Man hat uns dort behandelt wie Könige." Verständliche Anfängerfehler gab es auch: "Wir kamen viel zu früh." Aber in dem für 1000 Leute gedeckten Ballsaal konnte er viele gute Kontakte knüpfen.

Die wird er in Zukunft gebrauchen können, denn seine Produktionsfirma a & o buero, die auch in Köln eine Filiale besitzt, hat ein Faible für besonders schwierige Geschichten. In Chytroscheks nächstem Film "Atomic Africa", der Anfang 2013 fertig sein soll, geht es um die Machenschaften der Nuklearlobby auf dem Schwarzen Kontinent.

Zusätzlich zum Preis, der jetzt im Büro des Regisseurs in St. Georg "auf dem Ikea-Regal ganz oben" steht, bekamen die Gewinner eine kleine Gebrauchsanleitung mit auf den Weg, wie man die gravierte Plakette an die Trophäe anschraubt. Das wird Chytroschek schon hinbekommen, schließlich hat der Exil-Schwabe auch mal Maschinenbau studiert, weil er lange Zeit "irgendwas mit Autos" machen wollte, bevor er über Umwege zum Film kam. Reste vom Schrauber-Gen haben sich bei ihm trotzdem noch erhalten. Er fährt einen reparaturanfälligen alten VW Käfer.