Stefan Pucher sieht schwarz für die Liebe. Er inszeniert Shakespeares “Sommernachtstraum“ als düsteres Travestie-Stück am Thalia-Theater.

Hamburg. Verliebte und Verrückte sind einander gleich, behauptet Shakespeare in seinem "Sommernachtstraum", ihre Welt besteht aus Einbildung. Und so lässt der Dichter in seiner perfekten romantischen Komödie, Liebespaare aufeinander los, die sich begehren, einander überdrüssig sind oder gar Machtspielchen miteinander ausfechten. Die Liebesleute werden bis zur Erschöpfung umhergescheucht, dank eines Zaubers auch mal umgepolt, doch am Ende findet "jedes Deckelchen seinen Topf", wie es im Stück einmal heißt.

So viel heitere Unterhaltung wie in "Ein Sommernachtstraum" bietet Shakespeare selten, Regisseur Stefan Pucher allerdings sieht schwarz. Bunt und lustig war gestern. Die erotische Gewalt, die aus dem Stück gern herausgelesen wird, kommt hier dosiert vor. Liebe, so heißt es stattdessen, ist ein einsames Unterfangen und verheißt kein Glück. Nein, das will man einfach nicht glauben.

Stefan Pucher hat den "Sommernachtstraum" nun am Thalia-Theater inszeniert, als düstere Show, die mal wie ein überlebensgroßer Fassbinder-Film aussieht, mal wie eine Travestie-Nummer und mal wie ein bitterböser Spiegel über den Niedergang von Moral und Sitten unserer Zeit, in der die Menschen scheinbar alles schon kennen und ausprobiert haben und nur noch im Extremen das Leben spüren. Im fantastischen Bühnenbild von Stephan Laimé wandelt Sebastian Rudolph als Elfenkönigin Titania auf High Heels und singt wie Frank N. Furter aus der "Rocky Horror Picture Show", ohne dabei seine Würde preiszugeben. Und Bruno Ca-thomas befiehlt als Elfenkönig Oberon in Strumpfhose und Genitalschutz seinem Diener Puck, mal burlesk, mal zackig-tuntig, was als Nächstes zu tun sei.

Ein bisschen viel Travestie und Showtime ist das für das perfekt gebaute Stück, das ja vom Kontrast zum Alltag lebt, den junge Liebende und Feenwesen, Handwerker und mythische Figuren in dieser einen Nacht durchleben und durchleiden. Normal ist in dieser Inszenierung nur einer, der von Natur aus boshafte Geist Puck, der die Menschen verwirren und verzaubern will. Jens Harzer spielt ihn im schwarzen Anzug als einsamen Melancholiker, zu Beginn mit Zylinder und Peitsche wie einen Zeremonienmeister der Düsternis, der oft still beobachtend am Bühnenrand sitzt und sich über die Verrückten nur zu wundern scheint. Am Ende gab es viel Applaus für diese gewagte, gewaltig bemühte Interpretation des Stückes, in der wieder einmal die tollen Schauspieler des Thalia-Theaters überzeugten, ebenso die Bühne, schon weniger die Kostüme (Marysol de Castillo) und nicht so recht die Regie.

Das Spiel beginnt auf einer bühnenhohen Leinwand, auf der die Gesichter von Lysander (cool: Rafael Stachowiak) und Hermia (anmutig: Birte Schnöink) in die Kamera von ihrer Verliebtheit erzählen. Pech nur, dass Hermias Vater Egeus (Christoph Bantzer) sie dem Demetrius (eifrig: Sebastian Zimmler) versprochen hatte. Er findet sich nun gleich zwischen zwei Frauen, denn Helena (kraftvoll: Marina Galic), liebt ihn wie verrückt. Er sie aber nicht. Er will nur Hermia. Überlebensgroß verfolgt man diese Konflikte auf der Leinwand, sieht, wie sie zerredet werden, wie alle sich an einem runden Tisch einfinden. Klassisch, dass so ein runder Tisch wieder mal zu keiner Lösung führt.

Wenn die Leinwand hochfährt, zanken sich die Elfenkönige Titania und Oberon alsbald um einen Knaben, ganz so, als ginge es um einen Lustknaben, denn alle sind in schwarzem Lack und Leder. Die Liebenden, die in den Wald geflohen sind, verheddern sich im üppigen Pflanzengestrüpp, wenn nicht gerade die Elfenkönigin mit ihrer Gefolgschaft darin haust. Darunter - man sieht's, wenn die Pflanzen nach oben fahren - werkeln die Handwerker, angeführt von der wackeren Petra Squenz, die bei Gabriela Maria Schmeide etwas Zupackendes hat. Und bei Jörg Pohls Zettel, der unter wirren Haaren glotzt und ständig Brause trinkt, etwas Blödes. Als die Handwerker ein Theaterstück einüben ("Ich möcht so gern Herr Cooles spielen", sagt Zettel), gesellen sich noch die Jungs von Studio Braun hinzu. "Schamoni", stellt sich der Erste vor, "ich hab am Schauspielhaus als Bühnenhammer gearbeitet." Heinz Strunk ergänzt: "Ich spiele immer die Mutter." Man trägt Gedichte vor. Aber dem Abend können sie keine schmeichelhafte Farbe hinzufügen. Nur Klamauk.

Sebastian Rudolph singt als Titania fast so traurig wie Lili Marleen vor der Kaserne. Puck lässt sich von Oberon eher widerwillig überzeugen, Titania und "einem jungen Athener" Liebestropfen einzuträufeln. Und weil er Demetrius mit Lysander verwechselt, herrscht bald höchstes Liebeswirrwarr. Hermia liebt nun keiner mehr, Helena lieben jetzt beide junge Männer. "Der weiße Schneeberg des Himalaja, steht neben dir als Kohlenhalde da", schmachtet Demetrius Helena an. Die Damen fühlen sich verschaukelt. Auf der Bühne wird gezankt und gelitten. Und auf der geschwungenen Riesenleinwand ganz oben sieht man die Protagonisten einander jagen, den Beatles-Song "Golden Slumbers" singen oder einen Hochzeitsfilm drehen à la Fellini.

Auch ein zweiter visueller Effekt ist hinreißend: Links und rechts von einer Leinwand auf der Bühnenmitte hüpfen die Schauspieler in eine Handlung, die als Film zu sehen ist. Jörg Pohl macht das sehr schön, wenn er als Handwerker Zettel von der einen Seite kommt und hinter der Leinwand auf der anderen Seite als Esel wieder herausspringt. Hörbar viele "Iiaahs" brüllt er, auch Titania, die sich liebesrasend auf ihn stürzt, geht dabei recht lautstark vor.

Am Ende, wenn die Handwerker ihr dilettantisches Spiel von Pyramus und Thisbe aufführen, was fast immer der Höhepunkt einer "Sommernachtstraum"-Aufführung ist, fällt das Spiel im Thalia leider ab. Die Szene ist allenfalls mäßig komisch. Wie kann man so etwas nur vergurken? Am Schluss steht Puck wieder alleine da: "Verschont uns von dem Buh", mahnt er die Zuschauer. Am Premierenabend hat's geholfen. Für die Regie allerdings wär's drin gewesen.