Konzert in Hamburg: Mischa Maisky spielte im Michel drei der Suiten für Violoncello solo, dazwischen ertönte übermächtig die Orgel.

Hamburg. Grantler würden sagen, Kammermusik gehört in die (Konzert-)Kammer. Quartette, Trios, erst recht intime Mitteilungen aus einem einzigen Streichinstrument sind nichts für große Säle, schon gar nichts für den imposanten Hall einer Kirche wie St. Michaelis. Andererseits wiederum verstärkt ein solcher Raum den Klang und macht ihn für mehr Menschen hörbar, als in eine Kammer passen würden. (Chor-)Sängerstimmen profitieren vom Kirchensound, er packt sie in Watte und gibt ihnen Weihe.

Dem Cello Mischa Maiskys aber, der am Donnerstag drei der sechs Solosuiten von Bach im Michel spielte, kam die massive Verstärkung durch die Architektur eher in die Quere.

Die Töne, die er wichtig nahm, und das waren bei Weitem nicht alle, die in den Noten geschrieben stehen, standen im Raum wie der Schein des Mondes, den ein Hof aus diffusem Licht umgibt. Das hatte seinen eigenen Reiz. Doch es ging zulasten der Deutlichkeit der Interpretation.

Nun zählt Maisky wohl ohnehin nicht zu den Interpreten, die fortwährend und skrupulös ihre Lesart von Musik befragen. Sein Bach-Spiel schert sich wenig um historisch informierte Aufführungspraxis. Er streicht sein wunderbar ausgewogen und harmonisch klingendes Instrument mit der Wärme und Verve des Musikerzählers, der sich von ein paar verrutschten Doppelgriffen und manchen anderen Unsauberkeiten in der Intonation nicht aus dem Fluss bringen lässt. Doch das wirkt nicht nachlässig, denn diesen Fluss hält Maisky mit seiner unfehlbaren Bogenhand auf eine Weise in Bewegung, die den Hörer viel stärker an der Musik Anteil nehmen lässt, als das womöglich einer technisch in allen Einzelheiten makellosen Wiedergabe gelänge.

Wie er die Dynamik in der mehr linear als polyfon erzählten Musik tanzen lässt, mit Echowirkungen kleiner, wiederholter Passagen spielt, wie das jeweils von ihm gewählte Tempo einen sofort von dessen Richtigkeit überzeugt, vor allem, wie er Notenschrift auf seinem Instrument in eine Art unendlichen Gesang übersetzt: Das macht ihn zutiefst vertrauenswürdig. Das Seelen-Gen der Musik ist mit ihm. Eine erstaunlich entwaffnende Kraft.

Um die Darbietung auf Konzertlänge zu bringen, spielte der Kirchenmusikdirektor von St. Michaelis Christoph Schoener nach der eröffnenden G-Dur-Cellosuite Bachs Passacaglia c-Moll, was wegen der parallelen Molltonart schön zur folgenden Cellosuite in Es-Dur passte, dem Maisky-Mondenschein aber fast unbarmherzig die grelle Totalsonne der Orgel entgegenschleuderte. Die auf dem Pedal getretene Basslinie, die als Cantus firmus durch alle Stimmen wandert, entfaltete eine solche majestätische Wucht, dass sie geradezu den Kirchensaal zu heizen schien.

Auch die von Schoener mit starken Registerfarben gewürzte Toccata, Adagio und Fuge C-Dur vor der c-Moll-Cellosuite im zweiten Teil des Konzerts nahm sich nicht nur hinsichtlich der stellenweise unübersehbaren Stimmenvielfalt als Gegenpol zum Solocello aus. War's nur die Kirche, die einen auf den Gedanken kommen ließ, hier sei das ungleiche Wechselspiel zwischen dem Prinzip des Göttlichen, vertreten durch die Orgel, deren Musik von oben kommt, und dem irdischen Streben des Menschen, der unten tapfer auf seinem Cello gegen (oder auch für) den Rest der Welt streicht, gespiegelt? In der Kammer wäre er ungedacht geblieben.