Am Wochenende steigt in Hamburg der Junge-Ohren-Preis mit Mitmachkonzerten und Hör-Entdeckungsreisen. Schirmherrin ist Barbara Kisseler.

Hamburg. Wer einmal ein handelsübliches Sinfoniekonzert besucht hat, der weiß, was Klassikveranstalter mit "Silbersee" meinen. Die sprechen nicht von einem Karl-May-Roman, nein: Der Begriff bezeichnet, nicht ganz frei von Zynismus, die im Zuschauerraum vorherrschende Haarfarbe. Das Gros des Publikums bewegt sich rasant aufs Rentenalter zu, das ist zumindest der allgemein gefühlte Befund. An ihn schließt sich die bange Frage an: Wer folgt den Rentnern von heute nach, wenn sie mal nicht mehr sind?

Man kann die Frage ins Positive wenden: Wie können wir der klassischen Musik eine gesellschaftliche Bedeutung verschaffen? Das ist der Ansatz der sogenannten Musikvermittlung.

Das Wort klingt zunächst mal abschreckend akademisch. Wie haptisch, bunt und lebendig es indessen in der Praxis zugeht, das ist an diesem Wochenende in Hamburg zu erleben. Das überregional tätige Netzwerk Junge Ohren bittet zu Tagung, Konzerten und zur Verleihung des Junge-Ohren-Preises 2012. Heute Mittag präsentieren sich im Rolf-Liebermann-Studio die nominierten Projekte, die Preisverleihung unter der Schirmherrschaft von Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) folgt am Abend.

Zur Kür steht etwa eine "Opernbaustelle" mit dem anspielungsreichen Namen "Biss der Vorhang fällt": Musiker der Taschenoper Lübeck erarbeiten mit Schülern eine eigene Kurzoper, als musikalischer Steinbruch dient Heinrich Marschners romantische Oper "Der Vampyr". Aus Amsterdam kommt "Die Musikfabrik", die natürlich erst mal keine ist, sondern zu einer wird, als fünf Fabrikarbeiter versehentlich ein Musikinstrument erfinden und plötzlich der Arbeitsalltag kopfsteht. Und unter der Überschrift "Klangsprungballspiel" entdecken Grundschüler die Klangeigenschaften von Alltagsdingen und machen daraus eine Aufführung.

Ob Aufführung, Mitmachkonzert oder Hör-Entdeckungsreise: Was so kinderleicht aussieht, ist in Wahrheit hohe Kunst. Mit dem gefürchteten säuerlichen pädagogischen Zeigefinger hat Musikvermittlung nichts zu tun. "Natürlich braucht man pädagogische Grundlagen", sagt Ingrid Allwardt, die Geschäftsführerin des Netzwerks Junge Ohren. "Es müssen aber wesentliche Dinge zusammenkommen: Es braucht eine zündende Idee, ein überzeugendes Gesamtkonzept. Die musikalische und szenische Qualität muss hervorragend sein, die Dramaturgie muss stimmen. Und dann muss es auch noch gut rübergebracht werden."

Nur - wie geht dieses Rüberbringen? Christina Dean, die die Educationprogramme beim NDR Sinfonieorchester konzipiert und oft moderiert, bringt es auf die Formel: "Das Wichtigste ist, dass man authentisch wirkt. Es muss einem aus den Knopflöchern strahlen, dass die Musik, die gerade gespielt wird, die allerschönste auf der Welt ist."

Vanessa Evers aus der 13. Klasse der Julius-Leber-Gesamtschule Schnelsen hat im Kleinen Saal der Laeiszhalle einen Soloabend mit dem Jazzpianisten Martin Tingvall gehört, locker moderiert vom Künstler selbst. "Diese Musik war Neuland für mich", erzählt sie. "Da ist ein besonderes Flair entstanden, man hat gemerkt, dass er selbst etwas empfindet. Er war ganz drin in der Musik. Das hat mich berührt." Vanessa würde wieder hingehen. Ein Etappensieg für die Musikvermittlung.

Der Junge-Ohren-Preis 2012 Preisverleihung heute, 19.00, Rolf-Liebermann-Studio (U Hallerstr.), Rothenbaumchaussee 132, Eintritt frei. Das weitere Programm unter www.jungeohren.com