Beth Ditto und der Pop-Mythos Gossip entführen am 16. November in der Sporthalle Hamburg in die glitzernden, zackigen 80er-Jahre.

Manchmal ereignen sie sich noch, die echten Popmärchen. Die Geschichte von Gossip hätten sich die Brüder Grimm nicht besser ausdenken können. Ein unglückliches Mädchen mit einer Stimme wie einer Naturgewalt aus dem tiefsten konservativsten Arkansas findet zwei weitere Außenseiter und formiert eine Punk-Band. Man huldigt der feministischen Riot-Grrrl-Bewegung. Und schafft nach einer Umbesetzung und einigen unbemerkt verhallenden Alben den Durchbruch mit der Single "Standing In The Way Of Control" vom gleichnamigen dritten Album. Der Song ist, wie das ganze Werk, ein saftiges Statement gegen sexuelle Bevormundung und Bestrebungen in den USA, Homosexuellen das Recht auf Eheschließung zu verweigern.

Der Mythos Gossip war geboren. Und er lebt bis heute von einer Sängerin, die nicht nur vor dem Mikrofon kein Blatt vor den Mund nimmt. Die sich gefragt und ungefragt äußert zu Magerwahn, Modezaren, auch mal zu ihrer Monatsblutung und die ziemlich imposant und stilsicher ihre eigenen Kurven in Szene zu setzen weiß.

Die Stimme ist immer noch pures Gold. Glühender Soul. "I'm moving forward with all of my might/I'm headed toward a new state of mind", singt Beth Ditto in der Hit-Single "Moving In The Right Direction". Eingebettet in einige der wenigen Punkgitarren, die auf dem neuen Album "A Joyful Noise" zu hören sind, wird bald deutlich, wohin sich die Ditto bewegt. Mit voller Kraft Richtung geschmacksunsicherer 1980er-Jahre, ABBA und einer Messerspitze Kylie Minogue. Am 16. November lädt sie in der Sporthalle zum Hüftkreisen unter der Discokugel.

Das neue Werk verbreitet, erweitert um allerlei soulige Bläser und künstliche Beats, inzwischen pure Lust auf Dancefloor. Erdacht vom Produzenten Brian Higgins alias Xenomania, ein wahrer Studiopopheld von der Insel, der seinerzeit den Cher-Hit "Believe" verbrochen hat. Groß kommt die Musik daher. Mit dem klaren Willen, am Mainstream anzudocken. Den Vorgänger "Music For Men" hatte ja immer noch der Zausel unter den Rockproduzenten, Rick Rubin, zurechtgelötet. Von ihrer einstigen Sinnstiftung, dem tanzorientierten Punkrock, ist Gossip Lichtjahre entfernt.

Das freche "Get A Job" klingt unverhohlen nach der frühen Madonna. Sehr delikat fordert die Ditto darin eine auf Kosten ihrer Erzeuger mode- und partysüchtige Göre auf, sich gefälligst mal einen amtlichen Job zuzulegen. "Get Lost", diese Hymne auf Identitätsstärke und Neubesinnung, erinnert mit ihrem blechernen Piano fast an Coldcut. Ansonsten thematisiert Beth Ditto viel Geschlechterkampf, Herzensleid, auch Facetten des Dazwischen. "And just because I tremble when we touch/I'm not in love with you, I'm just involved with you", singt sie in dem reichlich desillusionierten "Involved". Viele Rhythmen klingen verdächtig bekannt. Auch der Retro-Beat aus "Horns" erinnern an süffigen breitbeinigen Soul-Pop, der seine Wurzeln schwerlich verschleiert.

Nach eigenen Angaben hat sich Beth Ditto im Vorfeld der Plattenaufnahmen ein Jahr lang mit dem Hörgenuss der Schwedenpopper ABBA kasteit. Scheint ihr und ihrer Truppe eine Menge Spaß gebracht zu haben. Nach "Gimme Gimme Gimme" klingt "A Joyful Noise" zum Glück nicht. Vor allem live dürften der die Hipster-Bartmode mitprägende Gitarrist Nathan Howdeshell und die coole Drummerin Hannah Blilie für ordentlich Wumms sorgen. Der Exkurs sei gestattet. Vielleicht war die Verliebtheit in den Erfolg zu groß. Jetzt wäre wieder eine Rückwärtsrolle fällig zu mehr Pointiertheit, hartem Minimalismus, purer Stimme.

Längst ist die Vielbegabte nicht nur im musikalischen Kosmos aufgehoben. Es sollte ihr allerdings zu denken geben, wenn sie eines Tages nur noch durch die eigene Make-up-Kollektion, ihre eigene Modelinie und die mit gerade mal 31 Jahren verfasste Autobiografie "Heavy Cross" für Schlagzeilen sorgt. Oder wahlweise als Vorzeigelesbe oder Vorzeigewuchtbrumme herhalten muss. Die Welt wird Beth Ditto weiterhin lieben. Für ihre Stimme und ihr stolzes Selbstbewusstsein, das manch anderem unglücklichen, marginalisierten oder in der Provinz schmorenden Musikfan die Seele glatt bügelt. Hoffentlich auf Dauer auch für ihre Musik.

Gossip Fr 16.11., 20.00, Sporthalle, (U Lattenkamp), Krochmannstraße 55, Karten zu 42,20 im Vvk.; www.gossipyouth.com