Das Konzert von Kent Nagano mit der Pianistin Angela Hewitt war eher ein Abschied vom NDR Sinfonieorchester als sein Antritt in Hamburg.

Hamburg. Das Sinfonieorchester des NDR ist bekanntlich in festen Händen, und allem Anschein nach ist es sehr glücklich mit dem, dem diese Hände gehören, mit Thomas Hengelbrock. Anders aber als ein verheirateter Mensch in unserem Kulturkreis darf, ja muss selbst ein Orchester mit heiß geliebtem Chefdirigenten einen gewissen Hang zur Promiskuität pflegen. Der fremde Mann (manchmal auch die fremde Frau) am Pult erweitert für alle Beteiligten die Perspektive, der Austausch gehört zum Geben und Nehmen unter Musikern. Deshalb lädt sich ein Orchester gern mehrmals pro Saison Gastdirigenten ein.

Wenn dann aber ein besonders galanter, besonders geistvoller, besonders schön dirigierender Maestro aufkreuzt, der ganz offensichtlich auch richtig gut mit dem Orchester harmoniert und Facetten aus ihm herausliebt, die in der Beziehung zum Chefdirigenten nicht so im Vordergrund stehen, dann geht schon mal ein stummes Seufzen durch die Reihen: Wie wäre es mit dem? Käme da nicht auch ganz wunderbare Musik raus, eine feine und aufregend andere?

Solche Gedanken waren am Donnerstag ebenso naheliegend wie überflüssig. Denn Kent Nagano feierte an diesem Abend zwar einen großen Triumph, aber vermutlich war es auf lange Zeit sein letzter mit diesen Musikern. Denn erstmals im Laufe seiner jahrelangen Verbundenheit mit Hamburg betrat er die Bühne der voll besetzten Laeiszhalle als einer, der sich der Stadt versprochen hat, als Zukünftiger - nur eben nicht dieses Orchesters, sondern des Philharmonischen Staatsorchesters, das er nach Simone Youngs Weggang im Jahr 2015 als Generalmusikdirektor übernehmen wird. So gesehen, war der Abend eher Naganos Abschied vom NDR als sein Antritt in Hamburg.

Man will keine Kassandra sein, aber man darf prophezeien, dass die neue Liaison erst mal nicht ganz so erfüllend und sublim klingen wird wie die mit den Rundfunkmusikern. Denn das NDR Orchester ist derzeit in bestechender Form. Nagano durfte den Rahm eines handwerklich brillanten, geistig hellwachen, frischen Musizierens abschöpfen, dem man anzuhören meint, dass hier alte, gewachsene und etwas starr gewordene Hierarchien klug durcheinandergeschüttelt wurden, um eine neue Form des Zusammenspiels zu entwickeln.

Die Magie, die sich in Olivier Messiaens "Réveil des oiseaux" (1953) ankündigte, erfüllte in der anschließend aufgeführten Sinfonie Nr. 7 E-Dur von Anton Bruckner den ganzen Saal. Bei Messiaens nach gut drei Dutzend unterschiedlichen Vogelstimmen klingender sinfonischer Volière galt die Aufmerksamkeit noch überwiegend der glänzenden Pianistin Angela Hewitt. Sie hatte einen Klavierpart zu bewältigen, der sich in jeder Hinsicht als antithetisch gegenüber ihrem Spezialgebiet Bach erwies. Doch auch da schon war die Klangkultur des Orchesters zu bewundern, das überwiegend solistisch agierte. Und Naganos Vertrautheit mit Messiaen sorgte in der sich aus lauter feinen Klangfragmenten entwickelnden Musik für inneren Zusammenhang. Der Rhythmus der Vögel ist oft erratisch, ihre Einsätze in der Polyfonie der Morgenfrühe gehorchen keinem vom Menschen vorgegebenen Zeitmaß. Messiaen aber liebte die Vögel; seine Musik feiert ihren beglückenden, manchmal auch enervierenden Gesang als eine Musik, die dem Himmel unabweisbar näher ist als der Gesang des Menschen.

Gleichfalls höheren Sphären verbunden blieb Nagano anschließend in Bruckners Sinfonie Nr. 7 E-Dur. Diesen Dirigenten zum Samurai zu erklären, dessen Kraft in der Ruhe liegt, bietet sich nicht nur wegen seiner asiatischen Herkunft an. Tatsächlich wirkt Kent Nagano am Pult wie eine Mischung aus Zenmeister und Butoh-Tänzer; Showmanship ist ihm fremd, manche seiner Gesten sind so reduziert, dass man kaum sieht, was er da eigentlich macht. Aber man hört es. Unablässig balanciert er die Dynamik, schafft Räume, in denen sie sich aufbauen kann, bremst hier, forciert da, klar, aber knapp. Alle paar Minuten blättert er die Partitur um, schaut aber kaum je hinein.

So, wie es DJs gibt, die tanzen, und solche, die buddhagleich hinter ihren Maschinen hocken bleiben, gibt es Dirigenten, die schwitzen und sich verausgaben und Bewegungsminimalisten, die kein Schweißtuch brauchen. Das Publikum durch vollendet in Klang übersetzte Partituren wenigstens für eine kleine Zeit seiner irdischen Schwere zu entheben, das kann auch ein Ekstatiker der Stille wie Kent Nagano. Manchmal führt er die Musik in eine derartige Tiefe, dass man ahnt: Der Tod ist sein Freund. So einer ist für große Kunst nicht der schlechteste Verbündete.

Das Konzert wird am So 11.11., 11.00 in der Laeiszhalle wiederholt. Tickets unter T. 0180/178 79 80