Der NDR erinnert heute Abend in einem Dokumentarfilm an Antonia Hilke, die profundeste Modejournalistin der Fernsehrepublik.

Wenn Modemacher wie Karl Lagerfeld, Wolfgang Joop oder Jean Paul Gaultier im Fernsehen auftauchen, dann höchstens in Klatschmagazinen oder sekundenkurzen Beiträgen in den Nachrichten. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Mode findet in diesem Medium nicht mehr statt. Eigentlich ist es schon über 20 Jahre her, dass es im Fernsehen fundierte Berichte von den Prêt-à-porter-Schauen in Paris gab, denn Antonia Hilke ging mit ihrem Magazin "Neues vom Kleidermarkt" 1990 zum letzten Mal auf Sendung. Der Titel klingt altbacken, doch dahinter steckte eine profunde Informationssendung. Der NDR zeigt heute Abend eine Dokumentation über die 2009 im Alter von 86 Jahren gestorbene Journalistin.

"Bienvenue im Kleidermarkt - Antonia Hilkes legendäre TV-Modenschau" ist eine gut recherchierte Hommage an die Modeexpertin, über die Karl Lagerfeld sagt: "Antonia war die einzige ernst zu nehmende Modejournalistin in Deutschland." Der Autor und Regisseur Oliver Schwabe sichtete die Archive des Norddeutschen Rundfunks und stellte Material aus Beiträgen zusammen, die zwischen den 60er- und 90er-Jahren in "Neues vom Kleidermarkt" und "Neues vom Rond Point" ausgestrahlt wurden. In Interviews kommen Lagerfeld, der Fotograf F.C. Gundlach und Hilkes Kameramann Gerd Thieme zu Wort. Auch jüngere Modemacher wie das Designerduo FKK äußern sich zu Hilkes Bedeutung.

1922 in Berlin geboren, besuchte Antonia Hilke nach dem Abitur die private Kunstschule "Kunst und Werk" in ihrer Heimatstadt. Im letzten Kriegsjahr musste sie für die Rüstungsindustrie Ankermotoren zusammenbauen. Nach kurzer Ehe kam sie 1950 nach Hamburg und schlug sich hier als Illustratorin und Vignettenzeichnerin für Tageszeitungen durch (auch für das Abendblatt und die "Welt"). Dann kam das Angebot, für den NWDR eine Testsendung zum Thema Mode zu moderieren. Aus dem Versuch wurde zuerst "Neues vom Rond Point", später "Neues vom Kleidermarkt".

Die Dokumentation zeigt auch, wie schwierig es damals für die Deutsche und ihren Kameramann war, sendefähiges Material am Laufsteg zu drehen. Fernsehen war in den 60er- und 70er-Jahren bei den Couturiers verpönt, doch Hilke wusste Rat. Sie mietete in Paris ein schlichtes Studio, verpflichtete ein paar Models, lieh sich für eine Nacht Stücke aus den Konfektionen aus und veranstaltete ihre eigene Modenschau, die Thieme dann für ihre Sendung aufnahm. Durch ihre Beharrlichkeit und Kompetenz erwarb sie sich einen Ruf, der ihr später eine Menge Türen öffnete. In "Bienvenue im Kleidermarkt" gibt es eine Szene mit Hilke und Yves Saint Laurent, dem Interviews zutiefst zuwider waren. Doch auf die immer etwas kühl wirkende Journalistin aus Deutschland, von der Kollegen sagen, dass sie eine sehr schüchterne Person gewesen sei, ließ er sich ein.

Hilkes brachte auch ihre zeichnerischen Fähigkeiten ein. Dann sah man sie im Studio hinter einem Schreibtisch sitzen, eine Lesebrille auf der Nase, und in Echtzeit Mäntel, Hosen oder Kostüme zeichnen. Und sie erklärte, was sie da mit flinken Fingern zu Papier brachte. Bei aller Begeisterung war Antonia Hilke auch kritisch. Die Oberfläche der exaltierten Branche ließ sie kalt, für sie zählte nur Stil. "Bienvenue im Kleidermarkt" zeigt eine Frau, die Geschmack von seinen Abweichungen sicher zu unterscheiden wusste.

"Bienvenue im Kleidermarkt" heute, 0.00, NDR