Die Hamburger Kunsthalle zeigt das Werk des deutschen Malers Johann Christian Reinhart in einer großen Retrospektive.

Hamburg. Keine Tempel, keine Ruinen, keine mythologischen und auch keine biblischen Szenen sind auf diesem Bild zu sehen, das fast nichts anderes als Landschaft zeigt. Als der deutsche Maler Johann Christian Reinhardt im Jahr 1808 seine Ansicht des Tibers schuf, war die Landschaftsmalerei noch längst nicht akzeptiert und durchgesetzt. Wenn Reinharts Zeitgenossen damals Bilder sahen, auf denen nur Bäume und Berge, Flüsse und Felsen abgebildet waren, schien es ihnen, als würde das Eigentliche, das Wesentliche fehlen. Erst durch die Darstellung geschichtlicher oder mythologischer Szenen konnte ein Landschaftsbild historisiert und damit nobilitiert, also auf das Anspruchsniveau der allgemein akzeptierten Kunst erhoben werden.

Das Gemälde "Ansicht des Tibers an der Quelle von Acqua Acetosa" bildet den glanzvollen Ausgangspunkt einer großen Ausstellung zum Werk von Johann Christian Reinhart, die die Hamburger Kunsthalle ab heute in ihrer Galerie der Gegenwart zeigt. Noch bis vor etwa zehn Jahren galt dieses Schlüsselwerk des Künstlers als verschollen, es war nur durch eine recht ausführliche schriftliche Beschreibung eines Zeitgenossen bekannt. Nachdem es unerwartet wieder im Kunsthandel auftauchte, konnte das Gemälde im Jahr 2002 mit Unterstützung der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen für die Kunsthalle erworben werden, die seit Langem über einen gewichtigen Bestand an Zeichnungen und Druckgrafiken von Reinhart verfügte.

Schon neun Jahre hatte Reinhart in Rom gelebt, dem damaligen Sehnsuchtsziel der deutschen Künstler, als er 1808 seine Tiber-Ansicht malte. Bei der Staffagefigur des Jägers, die links im Vordergrund sitzt und über den Fluss blickt, dürfte es sich wohl um ein Selbstbildnis des Künstlers handeln, dessen Jagdleidenschaft allgemein bekannt war. Das Bild ist keine Ideallandschaft, sondern gibt eine reale topografische Situation wieder, deren historische Bedeutung sich dem Betrachter jedoch nur dann erschließt, wenn er darüber informiert ist: Im Vordergrund rechts befindet sich die Acqua Acetosa, eine Mineralquelle, die schon in der Antike bekannt war. Blickt man über den Flusslauf des Tibers in die Weite der römischen Campagna entdeckt man im Mittelgrund vor dem Sabinergebirge die Torre del Quinto.

Um 1800 gehörte Johann Christian Reinhart zu den wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten seiner Zeit. 1761 in Hof an der Saale geboren, ließ er sich in Leipzig und in Dresden als Künstler ausbilden, unter anderen bei Adam Friedrich Oeser, bei dem schon Goethe Zeichenunterricht genommen hatte.

Vor allem in der damaligen Dresdner Kunstszene stand man der Landschaftsmalerei aufgeschlossener gegenüber als in den meisten anderen Kunstzentren. Nicht zufällig hatte Caspar David Friedrich hier die Möglichkeit, seine ganz eigenen, symbolisch aufgeladenen Landschaften zu entwickeln. Christian Ludwig von Hagedorn, der Generaldirektor der beiden sächsischen Akademien, hatte schon 1862 eine Schrift veröffentlicht, in der er der Landschaftskunst einen höheren Stellenwert beimaß, als das im akademischen Alltag sonst der Fall war. Seiner Meinung nach könne die Landschaft der Historienmalerei nahekommen, wenn sie beim Betrachter Stimmungen und Gedanken hervorrufen würde. Gemeint waren Ideallandschaften, also Bildkompositionen, die nicht die reale und oft als unvollkommen empfundene topografische Situation wiedergeben, sondern die Natur so zeigen, wie sie dem Verständnis der Zeit nach sein sollte, nämlich ideal. Reinhart hat sowohl Ideallandschaften als auch nach der Natur gezeichnet. Die Ausstellung beginnt mit den frühen Jahren in Deutschland, der Ausbildung in Leipzig und Dresden und einer kurzzeitigen Anstellung am Hof von Meiningen. Nicht ein einziges Gemälde ist aus dieser Zeit bekannt, doch bereits das Frühwerk weist ihn als vorzüglichen Zeichner aus.

1789 brach Johann Christian Reinhardt zu einer Reise nach Italien auf, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1847 bleiben sollte. In Rom wurde er zu einer Instanz, zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten der dortigen Szene, der damals ungefähr 1500 auswärtige Künstler angehörten, eine beispiellose Konzentration.

Sein Blick war genau, ging ins Detail. Skizzenblätter zeigen, dass er auch auf großen Formaten direkt vor der Natur zeichnete. Dass er zahlreiche Rom-Ansichten als Druckgrafiken schuf, hatte nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe. Denn diese Blätter ließen sich leicht verkaufen und sicherten ihm ein gutes Einkommen, sie prägten zugleich das Bild, das man sich in Deutschland von der Ewigen Stadt machte.

Reinharts Grafik stand seit jeher in hohem Ansehen, dass er dagegen als Maler erst jetzt entdeckt wird, hat nach Meinung von Ausstellungskurator Andreas Stolzenburg auch damit zu tun, dass sein Werk bisher noch nie in Farbe publiziert worden ist.

Erstaunlich genug, dass es sich bei der Hamburger Ausstellung, die anschließend von der Bayerischen Staatsgemäldesammlung München übernommen wird, überhaupt um die erste Retrospektive dieses wichtigen Künstlers des frühen 19. Jahrhunderts handelt. Gezeigt werden 75 Radierungen sowie 90 Zeichnungen und 30 Aquarelle, von denen viele erst in den letzten Jahren entdeckt oder Reinhart zugeschrieben worden sind. Hinzu kommen mehr als 30 Gemälde. Mit ihrer Reinhart-Retrospektive knüpft die Kunsthalle an die Ausstellung mit Werken von Jakob Philipp Hackert an, den sie 2008/09 als "Europas Landschaftsmaler der Goethezeit" vorgestellt hatte.

Johann Christian Reinhart. Ein deutscher Landschaftsmaler in Rom Hamburger Kunsthalle. Galerie der Gegenwart. Bis 27.01.2013, Di-So 10.00-18.00, Do bis 21.00