Im atelier2go werden Menschen von neun bis 99 Jahren zu Künstlern

Hamburg. Der kleine Junge sitzt neben der älteren Dame, taucht synchron den Pinsel ins Wasserbad und malt exakt das gleiche Bild. In seiner Klasse gilt er als konzentrationsschwach, hier hat er einen Moment der Ruhe gefunden. Es sind Augenblicke der Begegnung wie diese zwischen Menschen im Alter von neun bis 99 Jahren, die das Atelier2go ausmachen. Die mobile Kunst ist in Gestalt von Fundstücken, Korken, Knetmasse, Wasserfarben und Ton auf Zeit in den Aufenthaltsraum des Altenpflege-Zentrums Stadtdomizil auf St. Pauli eingezogen.

Knapp 15 Bewohnerinnen und Bewohner gruppieren sich mit den 16 Viertklässlern der Grundschule Thadenstraße um die Tische. Manche sind eifrig mitten in einer Kreation, andere starren nachdenklich auf ein leeres Blatt Papier - und malen nach drei Stunden plötzlich eine rote Linie. Das Atelier2Go bietet allen eine individuelle Annäherung an künstlerisches Gestalten und durch das gemeinsame künstlerische Tun die rar gewordene Begegnung zweier Generationen. Initiiert hat diese Projektwoche Ivana Scharf vom Atelier für Gesellschaftsgestaltung mit Unterstützung der Homann-Stiftung.

Jeden Tag kommen die Grundschüler für ein paar Stunden am Vormittag vorbei. Kunstpädagoge Michael Ganz geht von einem Tisch zum nächsten. Was er leistet, ist kein Anleiten, sondern eher ein sensibles Moderieren. Anders als im Schulunterricht erfahren die Kinder hier einen freien Kontakt zur Kunst. "Man begegnet sich hier ganz natürlich. Manche Kinder haben sich die Zimmer der Bewohner angeschaut", so Ganz. "Es geht nicht darum, hier ein Ergebnis abzuliefern. Da passiert unheimlich viel, was man nicht auf den ersten Blick wahrnimmt", erzählt Ivana Schaf.

Zwei Dynamiken kommen zusammen. Die Ruhe der betagten, teils an Demenz erkrankten, teils in ihren Bewegungen eingeschränkten Bewohner und die quirlige Energie der Kinder. Mit Gewinn für beide. "Hier kommen alle auf Augenhöhe zusammen. Der Umgang mit dem Material ist für viele neu." Ingeburg Meyer kurvt fröhlich mit dem Rollstuhl zwischen den Tischen hindurch: "Ich leite die Kinder auch gerne an", sagt die ehemalige Kunsterzieherin. "Dass wir alle zusammen sind, bringt mir total viel Spaß", erzählt die neunjährige Lorena. "Meine Bastelarbeiten verschenke ich hinterher meist an die Bewohner, und wenn die sich freuen, bin ich auch froh."

Hinter dem Projekt steht die Hoffnung, dass sich dadurch auch gesellschaftlich etwas verändert. Dass Hemmschwellen abgebaut werden. Zur Kunst. Und zur unbekannten Generation. Am Tag der offenen Tür besteht Gelegenheit dazu.

Atelier2go im Stadtdomizil Tag der offenen Tür, 27.10., 10.00-12.30, Stadtdomizil Altenpflege-Zentrum GmbH, Lippmannstraße 19-21