Hamburg. Fast heimelig, die Atmosphäre im CCH: Dezent beleuchtete Lampenschirme flankieren die Bühne. Darüber zahlreiche weitere Schirme, die kopfüber herabhängen und einen Himmel voller Lampions bilden. Der Funzelschein ist jedoch trügerisch - das nervöse Flackern der Lämpchen deutet bereits an, dass es ungemütlicher werden könnte.

Das ist nicht anders bei dem Song, mit dem die Band Wilco aus Chicago ihr Konzert eröffnet. "One Sunday Morning" scheint eine schlichte Country-Ballade zu sein, die sich mit simplen Gitarrenakkorden und leierndem Gesang dahinschleppt. Doch unter dieser akustischen Oberfläche vibriert es gewaltig: instrumentale Farbtupfer werden eingeschmuggelt, und mit jeder Wiederholung der Melodie scheint das Ganze mehr zu federn und kraftvoll darauf zu drängen, die Form zu sprengen.

Wilco dehnt die Spannung noch eine Weile, bis Light-Show-Wetterleuchten und Instrumentendonner auf den Song vom aktuellen Album "The whole Love" vorbereiten, der Programm ist: "Art of Almost" - die Kunst des Beinahe - gibt mit seiner uneinheitlichen Struktur, den pulsierenden Synthesizer-Passagen und einem wahnwitzigen Gitarrensolo des fabelhaften Nels Cline die Richtung vor. Wilco ist vieldeutig. Die Band, die nach ihrem Start 1995 dem Alternative Country zugerechnet wurde, Nähe zur Folk-Legende Woody Guthrie bekundete und zuletzt das nichtssagende Label "Indie" verpasst bekam, kennt keine Genregrenzen.

Etwa 25 Songs aus allen Schaffensphasen spielen die sechs und demonstrieren in einem großartigen Konzert, welch exzellente Musiker sie sind. Das bekannte Material variieren und dekonstruieren sie nach Belieben, um es von einem auf den anderen Takt nahtlos wieder zusammenzusetzen. Nach mehr als zwei Stunden endet der vom Frontmann Jeff Tweedy geschriebene eingängige Song "Walken" als Kakofonie. Es folgt als letzte Zugabe das beruhigende "On and on and on" - etwas Heimeliges für den Heimweg.