Bremens neuer Kunsthallenchef Christoph Grunenberg über seine erste Ausstellung und weitere Pläne

Bremen. Seit etwas mehr als einem Jahr leitet der Kunsthistoriker Christoph Grunenberg die Bremer Kunsthalle. Zuvor war er u. a. in Basel, Boston, London und von 2001 bis 2011 als Direktor der Tate Liverpool tätig. 2007 leitete er die Jury für die Vergabe des renommierten Turner-Preises. Am Wochenende wurde seine erste große Ausstellung in Bremen eröffnet. Er hat sie unter dem Titel "Gegen den Strich" dem Frühwerk von Friedensreich Hundertwasser gewidmet.

Hamburger Abendblatt: Ihr Vorgänger Wulf Herzogenrath hat van Gogh, Monet und zuletzt Munch gezeigt und mit Block buster-Ausstellungen zur Klassischen Moderne großen Erfolg gehabt. Warum knüpfen Sie dort nicht an?

Christoph Grunenberg: Ich würde nicht sagen, dass ich dort nicht anknüpfe. Bisher gab es in Bremen etwa alle zwei Jahre eine sehr ambitionierte Ausstellung, die aus der eigenen Sammlung entwickelt wurde, hochkarätige Leihgaben hatte und einen großen Marketing- und Werbeaufwand erforderte. Dazwischen gab es ruhigere Zeiten. Wir werden das fortsetzen, den Rhythmus künftig aber etwas beschleunigen.

Sie beginnen ausgerechnet mit Hundertwasser, einem Künstler, der gnadenlos vermarktet wird und sich längst im Kunstgewerblichen erschöpft hat. Was reizt Sie an ihm?

Grunenberg: Es ist immer interessant, mal nicht das zu machen, was alle anderen tun. Natürlich ist Hundertwasser ein total belasteter Name ...

Woran der Künstler selbst nicht unschuldig ist.

Grunenberg: Daran ist er sicher nicht allein schuld, aber zweifellos hat er eine wichtige Rolle dabei gespielt, seinen Ruf seit den 1970er-Jahren zu ruinieren. Aber hinter diesem Namen, den nun wirklich jeder kennt, gibt es einen ganz anderen Hundertwasser. Einen Künstler, der sehr wichtig ist und im Zentrum der Avantgarde der 1950er- und 1960er-Jahre gestanden hat und dessen Arbeiten absolut qualitätvoll sind. Irgendwann fand dann dieser Umbruch statt, das sollte aber seine Rolle als ein Künstler, der von den wichtigsten Museen ausgestellt und gesammelt wurde, nicht verstellen. Hundertwasser hat an der Documenta und an der Biennale in Venedig teilgenommen und war akzeptiert als ein Künstler, der zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit seinen eigenen Stil gefunden hat. Deshalb sollte man sich die Mühe machen, ihn mal wieder ernsthaft zu betrachten.

Das Publikum wird allerdings nicht das Frühwerk, sondern Dekoration und Architektur erwarten, die es von Postkarten und Kalendern kennt. Sie sehen nicht die Gefahr, dass die Besucher enttäuscht sein könnten?

Grunenberg: Nein. Weil es immer noch Hundertwasser ist, nur in viel größerer Bandbreite und auf einem viel höheren Niveau, als das dem breiten Publikum vertraut sein wird. Genauso wie es einen guten und schlechten Dalí oder Chagall gibt, gibt es einen guten und einen nicht so guten Hundertwasser. Wir zeigen den "guten" Hundertwasser, dessen Werke ein Niveau und eine Authentizität haben, die später leider verloren gegangen sind. Deshalb hören wir auch ganz strikt 1970 auf.

Sie haben lange Zeit in Großbritannien gelebt und gearbeitet. Wie unterscheidet sich die dortige Museumsszene von der deutschen?

Grunenberg: Die entscheidenden Unterschiede betreffen die Finanzierung der Museen und die Art, wie sie mit der Öffentlichkeit arbeiten. In den letzten 20 Jahren hatten die Museen in England eine gute Zeit, sind großzügig unterstützt worden, und es gab viele Neubauten. Andererseits befinden sich auch manche städtische Sammlungen in schlechtem Zustand, was im Ausland nicht so auffällt. Wichtig ist in vielen Häusern der freie Eintritt, der einhergeht mit der Verantwortung, ein möglichst breites Publikum anzusprechen.

Obwohl England noch immer eine Klassengesellschaft ist?

Grunenberg: Trotzdem ist das soziale, ethnische und wirtschaftliche Spektrum der Museumsbesucher sehr groß. Man hat ganz bewusst Anstrengungen unternommen, nicht nur das gutbürgerliche Publikum, sondern möglichst alle gesellschaftlichen Schichten anzusprechen. Und das funktioniert zum Teil sehr gut.

Welches Publikum wollen Sie in die Bremer Kunsthalle holen?

Grunenberg: Es geht um die Menschen, die hier leben. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft und einer globalisierten Welt. Aber gerade für Städte wie Bremen oder auch Hamburg, die dank ihres Hafens einmal im Zentrum eines weltweiten Austausches von Waren und Menschen gestanden haben, ist es eine Chance, aus der eigenen Geschichte heraus die Gegenwart zu verstehen und Zukunft zu gestalten.

Sind 300 000 Ausstellungsbesucher, wie sie dieses Haus in den letzten zehn Jahren manchmal erreicht hat, eine Zielmarke für Sie?

Grunenberg: Die Tradition der großen Ausstellungen, die immer gut vorbereitet und wissenschaftlich fundiert sein müssen, werde ich fortsetzen. Und ich bin sicher, dass Hundertwasser großen Zuspruch finden wird, auch wenn ich keine Zahlen nennen möchte.

Was ist das nächste große Projekt?

Grunenberg: Eine Wols-Retrospektive, die wir in Kooperation mit der Menil Collection in Houston von April an zeigen werden. Das wird eine groß angelegte Schau mit 30 bis 40 Gemälden. Das ist ein Großteil seines Werks, denn er hat ja insgesamt nur 80 Gemälde gemalt. Hinzu kommen 100 Arbeiten auf Papier. Und sie kommt zu einem guten Zeitpunkt, denn es gab praktisch seit 25 Jahren keine große Retrospektive dieses wichtigen Künstlers, der im Mai 2013 100 Jahre geworden wäre.

Friedensreich Hundertwasser. Gegen den Strich. Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, bis 17.2. 2013, Mi-So 10.00-18.00, Di bis 21.00, Infos unter www.kunsthalle-bremen.de