Das Psychospiel “Match“ ist ein starker Schauspieler-Abend zum Lachen und Mitweinen. Ein Spiel um Erwartungen, Lüge und verleugnete Liebe.

Hamburg. Vater zu werden ist nicht schwer. Doch Vater zu sein erfordert Reife und Verantwortungsgefühl. Beides hatte der Tänzer und Choreograf Tobi in der Jugend nicht und ließ aus Karrieregründen seinen Sohn und dessen Mutter im Stich. Nun steht Mike, der Sohn, mit seiner Frau Lisa vor der Tür und überrumpelt unter dem Vorwand eines Interviews über die Geschichte des Tanzes den ahnungslosen Vater. Nach 40 Jahren konfrontiert er ihn mit der Wahrheit und seiner Wut.

Ein spannendes "Match" beginnt. Ein Spiel um die Suche nach Identität, um enttäuschte Erwartungen, um Lüge und verleugnete und verlorene Liebe.

Harald Clemen brachte mit einem großartigen, punktgenau besetzten Schauspielertrio die deutschsprachige Erstaufführung des Melodrams von Stephen Belber auf die Bühne der Kammerspiele und erntete mit ihnen und dem in jeder Minute fesselnden, stimmigen Theaterabend zum Lachen und Mitweinen Bravos und stürmischen Beifall.

Der amerikanische Dramatiker und Drehbuchautor Stephen Belber, Jahrgang 1967, gab mit "Match" 2004 sein Broadway-Debüt. Das Well-made-Play ist nach dem Muster seines 2000 uraufgeführten Stücks "Tape", das Richard Linklater mit Uma Thurman und Ethan Hawke verfilmte, gestrickt. Die Erfolgsmasche: eine Dreierkonstellation und die Sexnacht mit fatalen Folgen. Auch ein Kassettenrekorder und Drogen sind im Spiel, genau wie bei "Match". Denn um die gespannte Situation aufzulockern, bietet Tobi seinen Gästen nicht nur Frosties, sondern auch einen Joint nebst Wein und Whisky an. Der Pott ist für den Kriminalbeamten Mike später ein guter Grund, dem "Rabenvater" mit Verhaftung zu drohen. Ebenfalls eine Analogie zu "Tape": Statt der das Recht vertretenden Staatsanwältin Amy gibt hier der Cop den Gesetzeshüter.

Josef Heynert beäugt misstrauisch und mit unterdrückten Aggressionen den herumtänzelnden Alten, der alles andere als seinen Erwartungen an einen Vater entspricht. Mit jeder Geste und jedem Blick macht Heynert den Macho, "verkorksten Psycho" und "Tanz-Schwulen-Hasser" glaubhaft, der wegen Gewalttätigkeit vom Dienst beurlaubt ist. Dennoch vermag er als verletzter "verlorener Sohn" zu berühren, der auch wieder zu seiner Frau zurückfindet.

Denn Lisa (Isabell Fischer) ist die treibende Kraft für das Treffen, um ihre Ehe zu retten. Sie steht im "Match" häufig zwischen den Männern in der Mitte als Ruhepol oder Vermittlerin. Ihr gegenüber gibt Tobi die Wahrheit zu. Die sexuell frustrierten und einsamen Seelen finden sich unschuldig in innigen, schwebend leichten Drehungen zu Musik. Denn Tanzen, Sex und Stricken sind für Tobi austauschbar.

Roland Renners vereinsamter Choreograf anfangs angespornt und geschmeichelt durch die Aufmerksamkeit der Gäste, blüht in seiner überhitzten Bruchbude (Bühne: Hans Richter) auf. Eitel gerät er nach Künstlerart in Fahrt, bis er geschockt erkennt, worum es bei der unverhofften Begegnung wirklich geht. In die Enge getrieben, sucht der Ex-Tänzer in dicken Strumpfsocken immer wieder Halt an seiner Ballettstange. Nur in kleinen Gesten deutet Renner nebenbei die "alte Schwuchtel" an, zeigt aber deren Humor und bissigen Witz aus der Not und Verzweiflung eines Außenseiters. Er scheut sich auch nicht vor tränenreichen Ausbrüchen. Denn jeder im Spiel gibt einmal seine gefasste Maske oder tapfere Haltung auf, um seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Dass Autor Belber den Choreografen Tobi Pullover nadeln lässt, könnte man sogar als selbstironische Anspielung auf seine dramaturgische "Hebemaschentechnik" (Tobi) verstehen, nach bewährten und erprobten Mustervorlagen zu arbeiten. Zweifellos beherrscht er die Technik des knallharten Dialogs und die Spannungsbögen eines immer wieder umschlagenden Psychospiels, das auf einer weniger banalen und konstruierten Ebene demonstriert: Die Illusion von Identität, genährt aus Erinnerungen, basiert auch immer auf einem guten Stück routinierter Vergangenheitsblindheit.

In Harald Clemens einfühlsamer, realistisch fein gezeichneter und auf jedes Detail achtenden Inszenierung, kosten die großartig harmonierenden Darsteller die Superrollen zu ihrem und dem Vergnügen der Zuschauer aus.

"Match" bis zum 11.11., Kammerspiele, Karten unter T. 0800/413 34 40; www.hamburger-kammerspiele.de