Katja Riemanns neuer Film “Der Verdingbub“ kommt Donnerstag ins Kino. Die Schauspielerin kennt das dörfliche Leben aus dem Film.

Hamburg. "Der Verdingbub" heißt der neue Film des Schweizer Regisseurs Markus Imboden. Der Film erzählt die Geschichte zweier Waisenkinder (Verdingkinder) in den 50er-Jahren im Emmental. Katja Riemann spielt darin eine Bäuerin. Wir sprachen mit der Schauspielerin über den Film, ihre Kindheit und ihre Hamburger Zeit.

Hamburger Abendblatt: Wie überrascht waren Sie, als Ihnen Regisseur Markus Imboden diese durch und durch Schweizer Rolle angeboten hat?

Katja Riemann: Ich war sehr überrascht. Ganz im Ernst. Und ich habe natürlich als Erstes gefragt: Wer hat abgesagt? Auch weil es so kurzfristig war. Er ist ja nun einmal mit einer ganz wunderbaren Schauspielerin zusammen, der Martina Gedeck. Und die konnte nicht, also das ist jedenfalls meine Vermutung, aber keiner spricht mit mir diesbezüglich ...(lacht). Wie Sie wissen, ist es eine Schweizer-deutsche Koproduktion und das heißt, es muss jemand aus Deutschland mitmachen. Und das bin dann jetzt ich ...(lacht).

Wie lange dauert es, bis man als Norddeutsche 'Berndytsch' sprechen kann?

Riemann: Ich konnte das nicht richtig sprechen. Das ist ja tatsächlich wie eine andere Sprache. Ich hatte die Produktion gebeten, mir den ganzen Text aufnehmen zu lassen, gesprochen von einer Frau aus dem Berner Oberland, die möglichst nicht Schauspielerin ist.

Und den haben Sie sich dann unters Kopfkissen gelegt.

Riemann: So ungefähr. Ich hatte ihn auf meinem iPod und habe ihn ständig gehört. Ich wollte nur wissen, wie es korrekt klingt, ohne Ausdruck. Den Ausdruck wollte ich dann schon selbst erfinden. Und Berndytsch zu lernen ist ja Quatsch. Ich muss meinen Text können.

Es gibt Kollegen, die sagen, die Rolle steht im Drehbuch. Warum steigen Sie so tief in Ihre Figuren ein?

Riemann: Ich erfinde Figuren. Ich mag diese Verwandlung. Und dazu kommt die Qualität der Drehbücher in Deutschland. Wir hatten in diesem Fall wirklich ein sehr gutes Drehbuch. Aber man kann sich nicht darauf verlassen, was andere dir schreiben. Die interessantesten Drehbücher liegen bei mir zu Hause auf dem Regal und sind niemals finanziert worden.

Und woran liegt das?

Riemann: Es wäre mal sehr interessant, darüber nachzudenken. Was findet man erzählenswert in diesem Land? Wir sind ja, wenn wir mal ganz ehrlich sind, kein Filmland, sondern ein Land der Autobauer.

Sie sind im niedersächsischen Kirchweyhe groß geworden, einem relativ kleinen Ort. War es deswegen leichter, Ihre Figur in der 'Verdingbub' zu finden?

Riemann: Da bin ich mir ganz sicher. Es sind zwar unterschiedliche zeitliche Epochen gewesen, unterschiedliche geografische Regionen und wir waren auch keine Bauern. Meine Mutter war die Dorfschullehrerin in einem Ort, in dem sonst nur Bauern lebten. Vor unserem Haus wurde Weizen gepflanzt.

Das klingt doch eigentlich sehr idyllisch.

Riemann: War es auch. Ich durfte in den Heuställen spielen, wenn das Heu eingefahren wurde. Abends war der Körper überall mit ganz kleinen Verletzungen übersät von dem Heu. Dann ging es in die Wanne und alles prickelte.

Wie streng war Ihre Erziehung?

Riemann: Meine Mutter war eine sehr autoritäre Person und Erzieherin. Und ich hatte auch immer so ein bisschen Muffe vor ihr. Also, im positiven Sinne, es war keine Angst. Es war Respekt. Meine Geschwister waren sehr viel älter als ich, und meine Mutter unterrichtete. Das war für mich sehr langweilig.

Und aus Langeweile haben Sie sich vorgestellt, Schauspielerin zu werden?

Riemann: Das kam später. Meine Mutter war keine Tennismutter. Ich musste darum ringen, eine Gitarre zu bekommen, weil wir nicht viel Geld hatten. Mit zwölf erhörte meine Mutter mein Flehen und schenkte mir eine Framus und Gitarrenunterricht dazu. In meinen Gitarrenlehrer hab ich mich natürlich gleich verknallt, ich war überhaupt ständig verknallt, seit ich fünf war.

Sie spielten sechs Stunden pro Tag Gitarre, da bleibt nicht viel Zeit für anderes.

Riemann: Ich habe durch die Gitarre und die Musik überlebt. Weil ich ja leider nicht so viel Tanzunterricht haben konnte, wie ich gerne gehabt hätte. Das gab es ja nur in Bremen, und wir hatten kein Auto. Und wir hatten kein Geld. Das Gitarrenspiel hat mich wirklich durch die Pubertät gerettet. Es waren ja nicht besonders nette Menschen da.

Wie meinen Sie das?

Riemann: Ich habe da krasse Ausgrenzung erfahren. Damals war es ein Stigma, Scheidungskind zu sein. Ich war Scheidungskind, lebte mit Mutter und Geschwistern zusammen, kein Vater in Sicht. Und ich wohnte auch noch in einem anderen Dorf als die Kinder der Klasse. Ich war praktisch Ausländerin. Ich fuhr nicht mit dem Bus, sondern mit dem Fahrrad. Der Bus kostete ja Geld. Und ich trug 'ne Brille! Das reicht, um jemanden scheiße zu finden.

Später haben Sie sich nach einem Jahr an der Lola-Rogge-Schule in Hamburg an der Schauspielschule beworben.

Riemann: Ja, ich hatte so eine günstige Wohnung im Schanzenviertel, das damals noch etwas anders aussah als heute. Damals war das Rock 'n' Roll. Es war ein totales Drogenviertel. Aber: nette Menschen und 200 Mark Miete. Ich dachte, das ist doch gut. Da habe ich jetzt die günstige Wohnung und studiere statt Tanz nun in Hamburg Schauspiel. Also, wenn ich nicht so naiv gewesen wäre, hätte man gesagt, die ist komplett größenwahnsinnig. In Hamburg fiel ich natürlich durch. An der Hochschule für Musik und Theater in Hannover habe ich noch mal vorgesprochen, und die haben mich freundlicherweise genommen.

War Hamburg die Befreiung von der ländlichen Enge?

Riemann: Das sollte man meinen. Aber ich hatte damals so viel Angst in mir, die bekam in Hamburg einfach nur eine andere Qualität. Und ich habe Hamburg auch erst viel später richtig kennengelernt. Ich habe mich immer auf den Wegen bewegt, die ich kannte, dem Weg zur Lola-Rogge-Schule am Dammtor oder nach Blankenese. Ich kannte den Weg zum Operettenhaus, zum Schauspielhaus, zum Bahnhof. Das war alles. Ich bin nicht ausgegangen, war nicht im Kino, Restaurants oder in Kneipen. Was hätte ich da auch machen sollen? Ich hatte viel zu viel Angst, irgendwo hinzugehen, und außerdem kein Geld.