Die Inszenierung auf Kampnagel ist ein kunterbunter Frontalangriff auf die Sinne und vor allem ein Fest der Fantasie

Kampnagel. Manche Ideen liegen so nah, dass man sich fragt, wieso nicht früher einer darauf gekommen ist. Was könnte unser heutiges Lebensgefühl besser abbilden als eine Comic-Opera? Schnelle, schlaglichtartige Bilder und dazu taufrisch komponierte Musik? Auf Kampnagel reitet an diesem Sonnabend ein multimedialer "Baron Münchhausen" durch die Luft, neben Pinocchio vermutlich der berühmteste Lügenbold der Literaturgeschichte.

"Baron Münchhausen" erlebt in dieser Form seine deutsche Erstaufführung. Der Regisseur Franc Aleu erzählt die haarsträubenden Abenteuer, vom Pferd, das nach der Schneeschmelze am Kirchturm baumelt, bis zur Mondreise, in Bild- und Videocollagen, die er auf zwei hintereinander gestellte Leinwände projiziert. Im Zwischenraum agieren die fünf Sänger. Aleus Bilder changieren zwischen Comic-Bildern im Stile eines Superman, dreidimensionalen Cyberwesen und naturalistischen Abbildungen mit gelegentlichen Anklängen an das 18. Jahrhundert. Entsprechend bunt gemischt hat Chu Uroz die Sänger eingekleidet: Da begegnet der Baron in seiner Puderperücke einem silbrig glitzernden Wesen, das unmittelbar aus dem Raumschiff Enterprise herabgestiegen sein könnte.

Der Komponist Wolfgang Mitterer ergänzt diesen Frontalangriff auf die Sinne durch Musik für einen Kontrabassisten, einen Schlagzeuger und elektroakustische Effekte. Sehr laut, sehr assoziativ geht das zu und sehr schräg. Da passt es doch, dass Münchhausen in dem Libretto, das Ferdinand Schmatz nach einer Münchhausen-Fassung von Gerhard Dienstbier geschrieben hat, alle paar Minuten "Avantgarde!" schnarrt - wenngleich er damit eindeutig im 18. Jahrhundert verhaftet bleibt, als die Vokabel noch nicht für Bürgerschreck stand, sondern militärisch-schlicht für "Vorhut!"

Und was ist nun mit den Lügen? Literarisch wahr ist, was sich so, wie es erzählt wird, hätte zutragen können, ist die Theorie des Schriftstellers Erich Kästner. Davon sind Münchhausens Geschichten weit entfernt. Aber haben wir in Zeiten der unbegrenzten digitalen Darstellungsmöglichkeiten überhaupt noch ein Empfinden dafür, was "wahr" und was erfunden ist? So kommt das freche, kunterbunte Stück vor allem als Fest der Fantasie daher, jenes Zaubers, den wir so dringend nötig haben.

In der Fantasie sind Kinder oft allmächtig. Das hilft ihnen zu wachsen oder auch einfach, ihr Leben auszuhalten. Es ist einer der schmerzlichsten und notwendigsten Prozesse des Erwachsenwerdens, die grandiosen Selbstbilder zu überprüfen und von Überlebens- auf Lebensgröße zurechtzuschleifen. Bei dem Jugendprojekt "Angedockt: Hero! Das Münchhausen-Camp" haben sich Jugendliche eine Woche lang mit dem Heldentum zwischen Sein und Schein beschäftigt. "Das Spiel mit Sein und Schein war ein sehr lustvolles", erzählt die Projektleiterin Veronika Grossberger. Die Früchte der lustvollen Arbeit führen die Beteiligten im Pre-Concert vor.

"Baron Münchhausen" Sa, 20.10. 15.30 u. 20.00, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestr. 20. Karten zu 25,- unter T. 35 76 66 66; www.elbphilharmonie.de

Pre-Concert "Angedockt: Hero! Das Münchhausen-Camp" Sa, 18.30, Eintritt mit Ticket für "Baron Münchhausen"