Ob Mardi Gras, Rock oder Free Jazz: Der Freigeist John Cale, am 23. Oktober auf Kampnagel zu erleben, kann alles

Ein Störenfried war er schon immer. Als John Cale Anfang der 60er-Jahre am renommierten Goldsmith College in London Musik studierte, galt er als Enfant terrible, weil er ein Klavierstück des Komponisten La Monte Young mit den Ellenbogen gespielt und eine Eigenkomposition aufgeführt hatte, bei der er so lange auf eine Topfpflanze einbrüllte, bis sie einging. Im Alter ist diese Anti-Haltung gegen die Traditionen des Establishments nicht weniger geworden. Als die Queen dem gebürtigen Waliser vor zwei Jahren den Titel "Officer Of The British Empire" (OBE) verlieh, färbte er sich für die Zeremonie die Haare pink - nicht gerade üblich für einen Senior im Alter von damals 68 Jahren. Inzwischen trägt Cale die Haare wieder altersgemäß weiß.

Eigentlich ist der Bratscher ein Vertreter der Neuen Musik. In den 60er-Jahren war er ebenso wie Yoko Ono ein Anhänger der Fluxus-Bewegung, er musizierte zusammen mit dem Neutöner John Cage, spielte im Ensemble von La Monte Young und hat bis heute immer wieder durch Klanginstallationen Aufmerksamkeit erregt, zuletzt 2009 bei der Biennale in Venedig mit der Videoinstallation "Dyddiau du (dark days)".

Doch John Cale besaß immer auch ein Faible für Rockmusik, die in den 60er-Jahren noch in den Kinderschuhen steckte und fortschrittlichen Musikern einen riesigen Spielplatz bot, um neue Formen auszuloten. In New York, wohin es den Waliser verschlagen hatte, traf er auf Andy Warhol und auf andere schräge Typen wie Lou Reed. John Cale gehörte damals zur Rockband The Velvet Underground, was ihm einen Platz im Rock-Olymp respektive der Rock and Roll Hall of Fame gesichert hat.

Doch mit einem Platz im Museum mag Cale sich nicht begnügen, sein Status als Rock-Legende ist ihm ebenfalls schnurzegal. Sieben Jahre nach dem Album "blackAcetate", bei dem er sich mit afroamerikanischer Musik und HipHop-Sounds beschäftigte, hat er jüngst mit "Shifty Adventures In Nookie Wood" ein neues Werk vorgelegt, das übersetzt etwa "Nicht ganz saubere Abenteuer im Pimper-Wald" bedeutet. "Du musst, bei Musik wie auch bei allen anderen Dingen im Leben, dich immer wieder von dem befreien, was du im Moment tust, und wieder ganz bei null anfangen. Ich mag die Unbeholfenheit des Neuen", erklärte Cale angesichts der zwölf neuen Songs.

Das Rad hat Cale mit "Shifty Adventures ..." nicht neu erfunden, aber das auf dem Domino-Label erschienene Album klingt durchaus zeitgemäß. Die Platte beginnt mit dem Kracher "I Wanna Talk 2 U", einer schnellen Nummer mit Funk-Gitarre und geradem Beat. Danger Mouse, zurzeit einer der angesagtesten Produzenten der Gegenwart, schneite während der Aufnahmesession ins Studio, und nach zwei Tagen war der Track fertig. "Mir schwebte so ein Old-School-Detroit-Vibe vor", sagt Cale. Danger Mouse, mit dem er bereits 2008 zum ersten Mal zusammengearbeitet hatte, brachte die richtigen Ideen mit nach New York. Andere Songs auf dem Album erinnern an Cales ungestüme Rockphase in den 80er-Jahren wie "Scotland Yard" mit seinem pumpenden Bass, doch Cale experimentiert auf "Shifty Adventures ..." sehr viel mit Rhythmen.

Der Titelsong klingt nach New Orleans und Mardi Gras, doch elektronisch verfremdet; bei "Hemingway" wird der Rhythmus zerhackt und im Hintergrund malträtiert Cale das Klavier wie ein Free-Jazz-Pianist; "Vampire Cafe" mutet orientalisch an und benutzt einen holpernden Beat. John Cales starke neue Platte lebt von seiner Erfahrung und von dem unbedingten Willen, Neues auszuprobieren, als wäre der 70-Jährige immer noch ein unbekümmerter junger Mann.

Wenn Cale am 23. Oktober auf Kampnagel konzertiert, darf das Auditorium mit einem konzentrierten Auftritt rechnen, aber auch mit Überraschungen, denn ausrechenbar ist ein Künstler von seinem Kaliber nicht. Vorbei sind jedoch die Bühnenexzesse wie noch in den 80er-Jahren, als Cale sich total betrunken und hilflos in einem Einkaufswagen auf die Bühne der Markthalle schieben ließ. Seit einigen Jahren hat er "die Sauferei", wie er selber sagt, aufgegeben.

Gewechselt hat er auch seinen Wohnort und ist von New York nach Los Angeles gezogen. Dort geht er täglich schwimmen und hält sich in einem Studio fit. In seinem Privatleben mag Cale zur Ruhe gekommen sein, musikalisch bleibt er weiter ein Störenfried.

John Cale Di 23.10., 20.00, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestr. 20, Karten zu 39,90 im Vvk.; www.john-cale.com