Hamburg. Neue Musik ist Neue Musik ist Neue Musik - aber so ganz neu dann doch auch wieder nicht, wenn sie schon das eine oder andere Jahrzehnt auf dem Buckel hat. Das Boulanger Trio, jene Berliner Kammermusikformation, die sich eine eigene kleine, feine Reihe auf Kampnagel leistet, hat zur Eröffnung der neuen Saison den lettischen Komponisten Peteris Vasks auf das Sofa gebeten, das zum Format der "Boulangerie" dazugehört wie der anschließende Wein mit Käse. Die Musikerinnen hatten sich nämlich Vasks' Klaviertrio "Episodi e Canto perpetuo" ausgesucht, und das stammt aus dem Jahre 1985. Nicht ganz taufrisch also. Aber auch ein explizit auf Neue Musik spezialisiertes Ensemble kann ja ruhig mal Werke aus dem vergangenen Jahrtausend spielen.

Allemal, wenn es so kundig und intensiv zu Werke schreitet wie das Boulanger Trio. Das Stück schwelgte mal in fast konventionell romantisch geführten Melodien und mal schienen die drei unmittelbar in den Himmel zu entschweben, so glasharfenzarte Gespinste erzeugten sie. Die stellenweise brutalen "Burlesca" wiederum brachten sie so auf Spannung, dass der Geigerin Birgit Erz eine Saite riss. Der Schaden war rasch behoben, die Stimmung im Saal hielt sich dank des überaus aufmerksamen Publikums, danach ging es mit unverminderter Intensität weiter. Nur war Erz im Folgenden nicht mehr ganz perfekt in Intonation und Zusammenspiel, nicht restlos frei in der Tongebung.

Im weiteren Verlauf trat immer deutlicher hervor, warum der Untertitel "Hommage à O. Messiaen" lautete: Erinnerten doch die Kantilenen und die pastellzarten Klangfarben zunehmend an Olivier Messiaens "Quatuor pour la fin du temps". Das sei ihm selbst erst beim Schreiben bewusst geworden, gab der 66 Jahre alte Komponist anschließend zu Protokoll, sehr freundlich und bescheiden, wie er da auf seinem Sofa saß und die Fragen der Musikerinnen in Sätzen von geradezu religiöser Schlichtheit beantwortete.

Klar, dass sich Vasks als zweites Stück ebenjenes Klavierquartett von Messiaen gewünscht hatte. Also ließen die Boulangers und der Klarinettist Sebastian Manz ganze Volieren zwitschern und schreckten weder vor einem Strawinsky-artigen Staccato noch vor den beängstigend langen Tönen zurück, mit denen der Komponist 1941, mitten im Krieg, Jesu Lobpreis gesungen hatte.

Ein klangschöner Abend. Nur ein ganz bisschen einfarbig.