Erstmals zeigt das Kunsthaus Stade die Reise-Motive des Expressionisten Max Pechstein in einer großen Ausstellung.

Kunsthaus Stade. Je stärker die negativen Begleiterscheinungen der Zivilisation seit Ende des 19. Jahrhunderts das Leben vor allem in den Großstädten veränderten, desto mehr suchten Künstler nach einem Gegenentwurf, nach dem unverfälschten Leben im Einklang mit der Natur. Für Max Pechstein und die anderen Maler der expressionistischen Künstlergruppe "Brücke" war es zunächst die unweit von Dresden gelegene Moritzburger Seenlandschaft, in die sie sich mit ihren Modellen zurückzogen, um vom "primitiven und paradiesischen Leben" in der Südsee zu träumen. Anfang 1914 machte Pechstein seinen Südsee-Traum wahr und reiste mit seiner ersten Frau Lotte auf die Inselgruppe Palau, die damals deutsche Kolonie war.

Viele der damals entstandenen Skizzen, Postkarten, Gemälde, Briefe und Tagebuchblätter sind jetzt im Kunsthaus Stade in einer bemerkenswerten Ausstellung zu sehen, die erstmals die Reisen des expressionistischen Künstlers thematisiert. Um diesen ebenso wichtigen wie faszinierenden Aspekt in Pechsteins Schaffen umfassend darstellen zu können, wurde die Kuratorin Ina Ewers-Schultz von den Künstler-Enkeln Julia und Alexander Pechstein unterstützt. "Max Pechstein auf Reisen" zeigt 20 Ölgemälde, 90 Arbeiten auf Papier sowie zahlreiche Originaldokumente, die sich auf die Reisen des Künstlers beziehen. Neben Aufenthalten in Italien, der Schweiz, an der Ostsee und auf der Kurischen Nehrung bilden die Südsee-Motive eine besonders wichtige Werkgruppe. Anders als sein Künstlerkollege Emil Nolde, der sich zeitgleich im damaligen Deutsch-Neuguinea aufhielt und die Schattenseiten der kolonialen Wirklichkeit durchaus in den Blick nahm, bewahrte sich Pechstein seinen verklärenden Blick auf das paradiesische Leben der Südsee. Welche Faszination diese Utopie vor Beginn des Ersten Weltkriegs gerade in Deutschland besaß, hat zuletzt Christian Kracht in seinem Roman "Imperium" dargestellt, der sich mit dem deutschen Aussteiger August Engelhardt beschäftigt.

Wie Nolde wurde auch Pechstein vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs in der Südsee überrascht. "Die Japaner haben mich wirklich aus dem Paradies meines Lebens verjagt, kaum dass ich hineingesehen", schrieb der Künstler, der schließlich über Umwege nach Deutschland zurückkehren konnte. "Hier ist die Einheit Mensch und Natur, Arbeiten, Schlafen, alles ist eins, ist Leben", formulierte Pechstein 1919 in Erinnerung an Palau. Viele seiner farbintensiven Südsee-Motive entstanden erst im Rückblick. Die Reiseskizzen, Aquarelle, Tuschzeichnungen und Ölgemälde zeigen nackte Menschen in einer tropischen Natur, deren Teil sie sind: Fischer im Auslegerboot, Hütten am Strand, Mahlzeiten im Freien, üppiger Urwald. Die Bilder zeugen nicht nur von einem Höhepunkt im Leben des Malers, sie markieren auch eine besonders wichtige Schaffensphase. Auch die Motive der zahlreichen anderen Reisen, die in dieser sehenswerten Ausstellung gezeigt werden, zeugen davon, dass Pechstein zeitlebens von der Sehnsucht nach der Ursprünglichkeit getrieben wurde, der er besonders in der Ferne auf die Spur zu kommen meinte.

Max Pechstein auf Reisen. Kunsthaus Stade. Wasser West 7 (Metronom/S 3), Di, Do, Fr 10.00-17.00, Mi 10.00-19.00, Sa/So 10.00-18.00, Eintritt 5,-, erm. 2,50