“Hate Radio“ ist ein aufrüttelndes Stück Zeitgeschichte

Hamburg. Ein Radio-Studio scheinbar wie jedes andere. Schalldichter Glaskasten, rote "On Air"-Lampe, ein Poster von US-Rapstar 2Pac an der Wand, Kaffeewagen, Flipchart mit Sendeplan und funktionales Gestühl. Nur der soldatische Aufpasser in der Ecke stört das Bild. Die Moderatoren Kantano Habimana (Dorcy Rugamba), Georges Ruggiu (Sebastien Foucault) und Valérie Bemeriki (Nancy Nkusi) hängen hipp gestylt, lässig im Sessel und säuseln in ihre Mikrofone.

Aber was sie da reden. Davon, "Kakerlaken" zu töten. "Diese Leute sind Nihilisten, sie wünschen sich den Tod, sie gehen mit offenen Augen in den Tod, sie sind der Tod. Ja, sie sind eine verkommene Rasse. Das sind Menschen, die ausgerottet werden müssen (...)." Mit den "Kakerlaken", die es auszumerzen gilt, sind die Tutsi gemeint. Zwischen 800 000 und einer Million von ihnen sind nach 1994 bei einem der größten Genozide der Menschheit in Ruanda durch die Mehrheit der Hutu bestialisch abgeschlachtet worden.

"Hate Radio", konzipiert vom Theatermacher Milo Rau und Dramaturg Jens Dietrich vom International Institute Of Political Murder und derzeit auf Kampnagel zu sehen, setzt Maßstäbe im gegenwärtigen Dokumentartheater, indem es aufzeigt, nach welchen Mechanismen Propaganda funktioniert. Und erweist sich der Einladung zum diesjährigen Theatertreffen als absolut würdig. Mit einem Informations- und Unterhaltungsmedium hat dieses Radio, dem Sender RTLM nachempfunden, dessen Mord-Propaganda dem Besucher durch den Kopfhörer dröhnt, nichts zu tun. Blanker Hass schallt durch den Äther.

Das Moderatorentrio trinkt Bier, witzelt über den eigenen Marihuana-Konsum, grölt zu Nirwanas Hit "Rape Me", den es ausdrücklich wörtlich gemeint wissen will, wettert gegen die "verlogene Auslandspresse" und wünscht jedem Anrufer "Courage" im Kampf gegen die "Rebellen". Die Lässigkeit, ja Beiläufigkeit, mit der die Moderatoren, einst echte Stars in ihrer Heimat, ihre gespenstische Freund-Feind-Ideologie verbreiten, ist dabei das eigentliche Schockmoment. Und von den Darstellern, ebenfalls aus Ruanda stammend, eindrucksvoll gespielt.

Für ihre Form eines Reenactments haben Rau und Dietrich akribisch in Ruanda recherchiert, Akten im Völkermord-Prozess gesichtet und Tausende Sendestunden gekonnt zu einer einzigen eingekocht. Ergänzt wird die Radiosendung durch Zeugenaussagen Überlebender. Sie erzählen nicht von abstrakten Kriegshandlungen, sondern von Milizen, die Kindern die Beine und Frauen die Brüste abschneiden. Davon, wie es ist wenn Opfer nach dem Ende des Spuks im Alltag auf Täter treffen.

Der ganz reale Horror spricht für sich und wirkt vor allem dadurch, dass die Theatermacher nicht der Versuchung erlegen sind, die Ereignisse zu kommentieren. Sie setzen die Zuschauer einer Laborsituation aus, die ihn Teil haben lässt am Ungeheuerlichen, das auch damals keineswegs im Geheimen geschah. Auch wenn mancher Besucher angesichts der Textfülle ermüdet den Hörer abschaltete, erst über das Medium entwickelt dieser Theaterabend die besondere authentische Atmosphäre. Dessen beklemmender Schlusssatz wohl niemanden kalt lässt: "Wenn es einen Genozid gegeben hat, dann wird es noch viele geben."

IIPM - International Institute Of Political Murder: "Hate Radio" bis 7.10., jew. 20.00, Kampnagel, Jarrestr. 20, Karten zu 17,- unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de