Wie lebt es sich als Kontrabassist? Zur Schauspielhaus-Premiere von Süskinds “Kontrabass“ haben wir einen gefragt.

Hamburg. Schuld ist immer der Kontrabass. Aus diesem Monstrum kriegt man keinen schönen Ton heraus - weil erst gar keiner darin ist. Und jeder Annäherung an eine Frau steht er wie ein Über-Ich im Wege mit seinen hängenden Schultern und viel zu tief sitzenden Hüften. So sieht jedenfalls das der namenlose Musiker aus dem Bayerischen Staatsorchester in Patrick Süskinds Theaterstück "Der Kontrabass". Am heutigen Sonnabend hat Süskinds bitter-komischer Monolog, das meistgespielte Theaterstück der Saison 1984/85, mal wieder Premiere, diesmal im Schauspielhaus. Wieder wird sich der ewig 35-jährige Protagonist monologisierend in seine stark kontrabassgefärbte Weltsicht hineinsteigern und von Sarah träumen, der jungen Mezzosopranistin, die ihn niemals wahrnehmen wird, das weiß er schon.

Was es im echten Leben bedeutet, Kontrabassist zu sein, davon kann Stefan Schäfer manches Lied singen. Schließlich ist er selbst einer, genauer: Solokontrabassist der Philharmoniker Hamburg. Doch auch abseits der Opernbühne, unter deren Rampe er mehrmals wöchentlich Dienst tut, lässt ihn das Theater nicht los: Als Student an der Hamburger Musikhochschule spielte er die Hauptrolle in der Oper "Die Bassgeige" von Argyris Kounadis; während seiner 15 Jahre als Theatermusiker am Thalia-Theater hat er mit Tom Waits' wüstem "Freischütz"-Verschnitt "Black Rider" Triumphe gefeiert. Und wenn ihm noch Zeit bleibt zwischen Komponieren, Kammermusik und Unterrichten, stellt sich Schäfer solissimo auf die Bühne und rezitiert und begleitet sich selbst auf seiner hölzernen Lady, wie er seinen Bass nennt.

Hamburger Abendblatt: Herr Schäfer, kann man auf einem Kontrabass schön spielen?

Stefan Schäfer: (hält inne) Nach längerem Überlegen - doch, das geht! (lacht) Da hat sich in den letzten 30 Jahren sehr viel getan. Das Niveau der Spieler ist unglaublich gestiegen, Instrumente und Zubehör haben sich verbessert. Es gibt viele neue Kompositionen. Und je mehr Literatur es gibt und je mehr Aufführungsmöglichkeiten, desto mehr Spieler wachsen nach.

Ihr namenloser Kollege aus Süßkinds Monolog hat einmal sogar eklatant schön gespielt - damit ihn die geliebte Sarah bemerkt. Leider vergeblich.

Schäfer: In Bassistenkreisen geht die Steigerung von "schön spielen" so: schön spielen, sehr schön spielen, eklatant schön spielen. Die Kollegen kennen eben ihren Süskind! Wobei - ein Vorgänger von mir an der Staatsoper, der fand das Stück gar nicht komisch. Dem rückte das wohl zu nah.

Ist der Kontrabass das wichtigste Orchesterinstrument, wie Süskinds Held mit trotzigem Stolz behauptet?

Schäfer: Ein Dirigent hat mal gesagt: Machen Sie mal eine Orchesterprobe ohne Geigen - kein Problem. Aber ohne Kontrabässe, das wäre ein Albtraum! In der Barockmusik geht nichts ohne Continuo und im Jazz nichts ohne den Bass. Celibedache hat es so ausgedrückt: Keine Melodie kommt ohne Bass auf die Welt.

Was ist es, das wir so dringend brauchen? Rhythmus oder Harmonik?

Schäfer: Ich glaube, beides. Das geht durch den Körper. Diese Tiefe, das ist die Basis.

Und trotzdem achtet keiner auf die Kontrabässe, die ganz hinten im Orchester stehen.

Schäfer: Man fällt erst dann richtig auf, wenn man fehlt oder falsch spielt. Ich genieße das immer, wie erleichtert die anderen sind, wenn ich wieder da bin (lacht) . Aber es geht doch um etwas anderes: um das Gemeinsame. Nicht bloß den Teppich auszurollen, sondern mit den anderen mitzugehen und zu merken, ich kann auch steuern. Wenn in der Oper die Geigen nicht ganz mit dem Sänger zusammen sind, können wir das kitten. Und der Dirigent ist manchmal noch ganz woanders, das wird dann mehrdimensional.

Aber den Beifall bekommen andere. Ist das nicht ungerecht?

Schäfer: Ich habe mir immer bewusst gemacht, dass ich Teil des Ganzen bin. Wenn das Orchester zum Applaus aufstehen darf, weiß ich genau, ein Teil des Applauses gehört mir. Ich schneide mir mein Scheibchen davon ab, das ist mir wichtig.

Kann denn Begleiten ein Lebenszweck sein?

Schäfer: Es gibt schon Leute, die mit der Rolle des Begleiters nicht zurechtkommen. Das würde ich aber nicht auf Kontrabassisten beschränken. Das ist eher ein allgemeines Streicherphänomen. Jeder Orchestermusiker ist doch als Solist angetreten. Jeder muss der Beste sein, um die Stelle zu kriegen. Aber ab dem Moment, wo man's geschafft hat, ist man nur noch Teamplayer. Wenn die Bedingungen gut sind, ist das okay. Aber wenn der Stimmführer vor einem nicht so gut ist, kommt schon mal der Gedanke auf, ich könnt's besser.

Also ist etwas daran, wenn Süskinds Bassist sagt, er sei lebenslänglich verbeamtet?

Schäfer: Dahinter steckt der alte Künstlernimbus: das Klischee, Beamtentum und Musik gehe nicht zusammen. So als wäre Orchestermusiker etwas genuin Kreatives. Der Orchesterdienst ist tatsächlich knallhart fremdbestimmt.

Wie kommt man zum Kontrabass?

Schäfer: Ach - weil in der Musikschule kein Platz mehr in der Geigenklasse ist. Oder weil vom Onkel noch ein Instrument auf dem Dachboden liegt.

Gibt's auch Freiwillige?

Schäfer: Mich zum Beispiel! Ich wollte sowohl in der Band spielen als auch im Orchester. Mit 13 habe ich beschlossen, dass es Kontrabass sein sollte. Vorher wollte ich Posaune spielen. Erst als ich meiner Mutter mit Fagott gedroht habe, hat sie den Kontrabass erlaubt. (lacht)

Alles tiefe Instrumente. Was hat Sie an der Tiefe gereizt?

Schäfer: Darüber habe ich nicht besonders nachgedacht. Der Fundamentgedanke vielleicht? Und in der Schule wollte ich auch immer hinten sitzen.

Wie viel Kraft braucht man, um so ein großes Instrument zu spielen?

Schäfer: Ohne Kraft geht's nicht. Wenn man sich schon auf dem Weg vom Parkplatz mit Schleppen verausgabt und dann noch den Basshocker dabei hat ... Aber im Ernst: Physisch anstrengend ist das schon. Auf den Basssaiten sind mehrere Tonnen Zug drauf. Die muss man erst mal in Bewegung setzen.

Mit Musik hätte das erst mal nichts zu tun, spottet Ihr fiktiver Kollege. Und dann gerät er doch in Wallung, als er den Bass im Arm hat und an die angebetete Sarah denkt.

Schäfer: Das ist Theater! Natürlich hat man ein symbiotisches Verhältnis mit einem Instrument, mit dem man täglich Umgang hat. Aber diese erotischen Projektionen sind kalter Kaffee.

Immerhin hat er sich den Traum von dieser Sängerin bewahrt.

Schäfer: Ja, das finde ich wunderbar: dass er bei all seiner Spießigkeit und Beschränktheit zumindest noch Fantasien hat. Der träumt von ferne von ihr und kommt gar nicht auf die Idee, sie einfach mal anzusprechen. Lieber stellt er sich vor, wie er in der Vorstellung (laut) : Saaaaraaah! schreit. Am nächsten Tag fliegt er mit Aplomb aus dem Orchester. Wenn er sich traut.