Das Label Erased Tapes präsentiert Nils Frahm, Ólafur Arnalds und A Winged Victory For The Sullen in den Fliegenden Bauten.

Wir waren 17, vielleicht schon 18, als ein Bekannter auf einer jugendlichen Kellerparty zur allerspätesten Stunde Erik Satie auflegte. Die meisten Gäste waren gegangen, nur einige wenige sammelten sich auf dem kratzigen Teppichboden, lümmelten auf dem alten Ledersofa oder hockten vor der väterlichen Plattensammlung, um wundervolle Schätze zu entdecken. Die letzte Flasche Weißwein machte die Runde, Zigaretten wurden geraucht.

Als sich das Piano von Satie unter der niedrigen Decke ausbreitete, gingen wir alle unseren Träumen nach, dachten vielleicht nur an Johanna am anderen Ende des Raumes oder gar ganz weit in die Zukunft. Was da kommen mag. Der Klang des französischen Pianisten eignet sich bestens dazu, fällt ihm doch ein besonderer Sog anheim, der die Gedanken in die Leerstellen zieht, die er lässt und Traum und Klang miteinander verbindet. Der Satie-liebende Bekannte des Schreibers dieser Zeilen hat damals mit Nils Frahm in einer Band gespielt. Vielleicht war er sogar da. In jedem Fall kann man der Musik des gebürtigen Hamburgers eine ähnliche Wirkung attestieren.

Doch der Satie-Vergleich, auf den sich viele versteifen, wenn sie von der sogenannten Modernen Klassik und Künstlern wie Dustin O'Halloran, Christian Naujoks, Hauschka oder Nils Frahm sprechen, ist zu kurz gegriffen.

Dustin O'Halloran und Nils Frahm sind Labelkollegen bei Erased Tapes, einem in Berlin und London ansässigen Label, das zu seinem fünften Geburtstag die beiden Musiker zusammen mit dem Isländer Ólafur Arnalds in die Fliegenden Bauten bringt und darüber hinaus die Platten von Peter Broderick, Rival Consoles oder Codes In The Clouds veröffentlicht: Es handelt sich um Elektronik, Klassik und Post-Rock.

"Bei Erased Tapes geht es darum, einen Dialog der Pole herzustellen", erklärt Label-Gründer Robert Rath, "das Traditionelle mit dem Zeitgenössischen zu verbinden, das Digitale mit dem Analogen und so die Kluft zwischen Elektronik und Akustik, Pop und Klassik zu überbrücken."

Der Isländer Ólafur Arnalds überschreitet regelmäßig Genre-Grenzen. Der 1986 geborene Multi-Instrumentalist spielte in verschiedenen Hardcore-Bands, bevor er klassische Komposition studierte. Doch diese Musikszene war dem Querkopf zu elitär, also widmete er sich seiner eigenen Musik. 2007 erschien sein Debüt "Eulogy For Evolution", das den jungen Musiker sofort bekannt machte und ins Vorprogramm von Sigur Rós brachte. Auf seinen Alben bringt Arnalds Hörer mit Indie- und Pop-Sozialisation einer Form elektronischer Kammermusik mit feinen, klassischen Akzenten näher. Nach weiteren Veröffentlichungen lud er seine Hörer gar in sein Wohnzimmer ein, um "Living Room Songs" aufzunehmen.

Der amerikanische Komponist Dustin O'Halloran wiederum ist vor allem für seinen Soundtrack zu Sofia Coppolas Historiendrama "Marie Antoinette" bekannt. Darauf, wie auch auf seinen Solo-Piano-Platten, befinden sich eindringliche Stücke von ernsthafter Leichtigkeit. Beim Reeperbahn Festival 2011 traf der heute in Berlin lebende O'Halloran in der St.-Pauli-Kirche auf - und zelebrierte eine Messe des enigmatischen Klangs. Beim Konzert in den Fliegenden Bauten kommt O'Halloran mit seinem Projekt A Winged Victory For The Sullen.

Obwohl der in Hamburg geborene und in Berlin lebende Komponist Nils Frahm international für sein kontemplatives Klavierspiel umjubelt wird, ist er hierzulande nicht so bekannt. Der "Guardian", "Mojo" oder "Uncut" aber haben das letzte Studioalbum "Felt" zu einer der wichtigsten Platten 2011 gekürt. "Felt" trägt diesen Titel, weil Frahm die Saiten des Pianos mit Filz (englisch: "felt") bedeckt hat, um einen gedämpften Sound zu erzeugen.

Auf seinen Livekonzerten überträgt sich diese Intimität auf seine Gesten. Versunken sitzt er am Klavier, in tiefer Konzentration wird Ton für Ton geboren, bis sich Nils Frahm umdreht und breit ins Publikum grinst. Als wären die Zuhörer seine Freunde, zur späten Stunde im engen Kreis, bei einer Flasche Wein und Gedanken an das, was noch kommt.

Nils Frahm, Ólafur Arnalds, A Winged Victory For The Sullen Mo 8.10., 20.00, Fliegende Bauten (U St. Pauli), Glacischaussee 4, Karten ab 21,15; www.erasedtapes.com