Allein mit seinem Pianisten entfaltet der Liedersänger Max Raabe Intimität - und wahrt trotzdem alle Distanz zum Publikum.

Hamburg. Diese Konzertkritik besteht aus zwei Teilen, einer Eloge und schätzungsweise einem Absatz Quengelei. Wenn Sie Max Raabe großartig finden, dann wird es Sie vielleicht interessieren, dass auch ich diesen absoluten Sonderfall des (deutschen) Showgeschäfts für einen Künstler halte, der dringend erfunden gehörte, gäbe es ihn nicht schon. Am Sonnabend gastierte Raabe in der gut besuchten Laeiszhalle, ausnahmsweise nur vom Pianisten Christoph Israel begleitet. Wie üblich in Vatermörder, Frack und Lackschuhen piekfein rausgeputzt, stand er vor seinem aufgerichteten Neumann-Mikrofon, legte den Kopf mit dem pomadisierten Blondhaar schief und sang gut zwei Dutzend dieser frechen, flotten Lieder, in denen sich Carmen auf Erbarmen reimt, Cabaret auf Varieté und Separee und unverheiratete Damen noch ungestraft Fräulein genannt werden dürfen. Kein Schwein vermisste all die schmissigen Riffs, Intros oder Soli seines Palast-Orchesters - so intim erschien in diesem Setting der sich raffiniert bis in Countertenorhöhen schwingende Naturbariton von Herrn Raabe.

Toll, mit wie viel Akribie und Perfektion er sich verschüttetes Songrepertoire vorzugsweise aus den späten 20er-, frühen 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu eigen macht. Wenn Max Raabe zu einem dieser Esprit versprühenden Couplets ansetzt, die oft in unter zwei Minuten zur Sache kommen, dann löst das reflexartig auch bei Spätgeborenen so etwas wie Phantom-Sehnsucht nach den vermeintlich Goldenen Zwanzigern aus, in denen Witz und Reim, melodische Erfindungsgabe und Popularität offenbar einen tabulosen Engtanz miteinander vollführt haben. Die heutige Pop-Produktion ist von derlei paradiesischen Zuständen so weit entfernt wie der Digital Download vom Grammofon, aber gut, ein jegliches hat seine Zeit.

Nie wieder besaßen Promiskuität und Fremdgeherei so viel Charme, nie wieder auch warb der Liedersänger so ausgesucht höflich um die kleinen Übergangsdamen seines Herzens. Raabe singt all diese fein ironischen, unwiderstehlichen Lieder mit eigenem Timing, manchmal pfeift er, zweimal sogar in perfektem Duett mit dem Pianisten, der sich bei seiner Klavierbegleitung oft so diskret murmelnd aus der Wahrnehmbarkeit zurückzieht wie der livrierte Oberkellner aus dem Separee.

Raabe lehrt allerdings auch, dass selbst Schlüpfrigkeit und Ironie eine Tendenz zur Sterilität bekommen können, wenn man sich dabei so ungerührt fernhält von allem, was der eigenen Kunstfigur womöglich abträglich sein könnte. So samtzarte Töne die Stimme hergibt, so bedingungslos spröde inszeniert sich der Mann. Verbeugungen vollführt er mit preußisch-kadettenhafter Eckigkeit, die Hände hängen wie bei einem emotional Ausgebremsten pendelhaft von den Armen herab. Drei Zugaben gibt's, danach verschwindet der Umjubelte so hölzern, wie er am Anfang hereingekommen war. Bloß keine Intimität, bloß keine Liebesbeziehung zum Publikum. Warum eigentlich nicht?