Die Dokumentation “Sound Of Heimat - Deutschland singt“ erforscht die Volksmusik. Und findet Erstaunliches zwischen Alpen und Ostsee

Warum singen in Deutschland so wenige Menschen? Dieser Frage geht der junge neuseeländische Musiker Hayden Chisholm in der Dokumentation "Sound Of Heimat" nach. Und es ist der neugierige, unverkrampfte Blick des Fremden, der uns ohne Zeigefinger unsere Scheuklappen bewusst macht.

"Dieselben Menschen, die mit feuchten Augen am Fuße der Anden sitzen, wenn ein alter Indio zum tausendsten Mal "El cóndor pasa" in seine Panflöte bläst, kriegen Pickel, wenn man sie auf die Melodien ihrer Heimat anspricht", erklärt Chisholm - ein entspannter Typ mit roten Haaren. Der Weitgereiste, der auch in Asien, Nord- und Südamerika traditionelle Lieder erkundete, will auf einem Roadtrip durch Deutschland erforschen, "warum die Leute ein Problem mit Volksmusik haben, vielleicht auch mit sich."

Wie Chisholm, Jahrgang 1975, vor der Kamera agiert, wie er mitmusiziert, tanzt, redet oder einfach durch den Wald streift, gerät nie zur Nabelschau wie bei einem Michael Moore. Vielmehr lernt der Betrachter mit diesem "deutschen Kiwi", welche klanglichen Schätze vor der eigenen Haustüre lagern.

Die Reise beginnt in Chisholms Wahlheimat Köln, in der er Jazz-Saxofon studierte und sein Können an Klarinette und Digeridoo sowie im Obertongesang verfeinerte. Die sonntäglichen Sangestreffen in der Kneipe Weißer Holunder, in der Gassenhauer wie "En unserem Veedel" angestimmt werden, kontrastiert die Doku mit dem Hip-Hop von BamBam Babylon Bajasch und dem Basspräsidium Kölle, die alte Lieder der Edelweißpiraten in ein aktuelles Soundgewand kleiden. Bereits bei dieser ersten Station wird deutlich: Tradition muss nicht spießig sein. Und kollektives Singen kann die Vergangenheit mit dem Heute verbinden.

Was den Film besonders sehenswert macht, ist nicht nur der gute Rhythmus der Dramaturgie, es sind die Charaktere, die tief mit der Musik ihrer Region verwurzelt sind. Wie Loni Kuisle, eine patente ältere Frau mit lustigen Locken, die im Allgäu Jodelkurse anbietet. Dass sich vor allem die jüngere Generation heimatliche Klänge nicht durch den "Musikantenstadl" zerdudeln lässt, zeigt der Film anhand des Bamberger Kollektivs Antistadl, das Althergebrachtes mit Ska, Klezmer und Beats kreuzt und so Verkrustetes mit reichlich Punk-Attitüde aufbricht.

Wie einen Ethnologen schickten die beiden Regisseure Arne Birkenstock und Jan Tengeler ihre Hauptfigur auf Forschungsreise durch die musikalische Landschaft zwischen Alpen und Ostsee. Zuvor mussten sie im eigenen Umfeld viel Aufklärungsarbeit leisten. "Kaum einer, der nicht die Augen verdreht, wenn man von einem Film über deutsche Volksmusik erzählt", erinnert sich Birkenstock. Offenbar bedarf es des Blickes von außen. Ganz so, wie auch die Koreanerin Cho Sung-hyung mit ihrer Wacken-Reportage "Full Metal Village" erklärte, wie ein Festival in einem norddeutschen Dorf funktioniert. Ihr Kameramann Marcus Winterbauer lieferte übrigens ebenfalls die Bilder für "Sound of Heimat". Dass der Spaß an alten Liedern regelrecht verstummt ist, dafür findet der Film zunehmend historische Gründe.

Besonders schmerzlich bewusst wird der kulturelle Bruch durch das Dritte Reich, als Chisholm in Buchenwald dem ehemaligen KZ-Häftling Wladyslaw Kozdon begegnet. Auf dem Appellplatz hätten sie "Alle Vöglein sind schon da" singen müssen, wenn ein Gefangener fliehen wollte und zurückgebracht wurde. "Das war so ein Horror", berichtet der Zeitzeuge.

All diese Impressionen mischen sich ins Fazit des musikalischen Volkskundlers Chisholm: Neben Freude und Vielfalt sei in der Musik der Deutschen stets "dieser Hauch Melancholie".

Bewertung: empfehlenswert

"Sound Of Heimat" D 2012, 93 Min., o. A., R: Arne Birkenstock, Jan Tengeler, täglich außer Do im Koralle, täglich im Zeise; www.soundofheimat.de