Die 27-Jährige wird für ihren Roman “Der Russe ist einer, der Birken liebt“ ausgezeichnet und legt das welthaltigste und reifste Debüt vor

Hamburg. Der Klaus-Michael-Kühne-Preis 2012 geht an Olga Grjasnowa. Die 27-jährige Berlinerin erhält die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung für ihren ersten Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt". Überreicht wird ihr der Preis heute Abend auf der Abschlussgala des Harbour Front Literaturfestivals im Museum für Hamburgische Geschichte.

Zum dritten Mal wurde im Rahmen des Debütantensalons in Hamburg nach dem besten Debüt des Jahres gesucht. Das Urteil der Jury war einhellig, ihr gehörten in diesem Jahr Stephan Lohr (NDR Kultur), Oskar Piegsa ("Zeit Campus"), Sebastian Hammelehle ("Spiegel Online"), Stephan Draf ("Stern") und Thomas Andre (Hamburger Abendblatt) an. Erzählt wird in "Der Russe ist einer, der Birken liebt" die dramatische Geschichte der jungen Frau Mascha Kogan, die mit ihren Eltern vor dem Bürgerkrieg in Aserbaidschan flieht und danach in postnationalen Zusammenhängen in Deutschland aufwächst.

Sie schleppt ein kriegsbedingtes Kindheitstrauma mit sich herum und gerät in eine neue Krise, als ihr Freund an einer Lungenembolie stirbt. Sozialisiert in einem global orientierten Lebensumfeld, wirkt diese Heldin permanent nur wie auf Durchreise. Dabei empfindet sie Trauer wegen ihres persönlichen Verlustes, spürt aber keinen grundsätzlichen Mangel ihrer Existenz. Das Dazwischen der Identitäten wird von ihr und ihren Freunden meist als Gewinn empfunden.

In der Begründung der Jury heißt es: "Die Autorin hat die Figur einer Dolmetscherin gewählt, um die Kategorie der Nationalität aufzulösen. Ihre Handlung bewegt sich von Baku über Frankfurt/Main nach Israel und Gaza, ohne jemals Gefahr zu laufen, der Nostalgie, dem Folklorismus oder der Wehklage der Exilierten zu erliegen."

Die Erzählung werde getragen "von Charme und unaufdringlicher Klugheit, obwohl es auch ein Buch über Trauer und Traumata ist". Weiter heißt es: "Nachdem es Olga Grjasnowa gelungen ist, mit 'Der Russe ist einer, der Birken liebt' ein außerordentlich bemerkenswertes Debüt vorzulegen, soll der Klaus-Michael-Kühne-Preis sie bei der Arbeit am nächsten Roman unterstützen."

Das Preisgeld beträgt in diesem Jahr erstmals 10 000 Euro - der vom Hamburger Logistiker Klaus-Michael Kühne gestiftete Preis gehört damit jetzt zu den wichtigsten Auszeichnungen für Nachwuchsautoren. Der Debüt-Charakter war vielen der in Hamburg vertretenen Titel anzumerken: Unter den acht vertretenen Autoren wählten die Jüngeren, sie alle sind um die 30 Jahre alt, am liebsten das Genre des Entwicklungsromans.

Grjasnowa war nach Lisa-Marie Seydlitz die jüngste Teilnehmerin an dem Wettbewerb. Seydlitz' Roman "Sommertöchter" ist wie "Der Russe ist einer, der Birken liebt" auch für den "aspekte"-Literaturpreis nominiert. Gleiches gilt übrigens für den Hamburger Autor Andreas Stichmann und sein Debüt "Das große Leuchten". Stichmann hätte dem Debütantensalon im Übrigen gutgetan - er las auf dem Harbour-Front-Festival, das heute zu Ende geht, freilich in einer Soloveranstaltung.

Im Wettbewerb lag mit dem berührenden, coolen und stellenweise auch immer wieder witzigen Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" das welthaltigste und literarisch reifste Buch vor. Grjasnowa stand mit ihrem Debüt auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Zu manchen Hoffnungen Anlass gibt derweil auch die Freiburgerin Lisa Kränzler, deren Debüt "Export A" einen sehr jung wirkenden Ton anschlägt - und die alptraumhafte Geschichte einer Austauschschülerin in Kanada aufzeichnet. Wie bei Grjasnowa geht es auch in Kränzlers Buch um ein Trauma, das mit literarischem Furor bewältigt werden will.