Kabarettist Jürgen Becker hat am Montag mit “Der Künstler ist anwesend“ Hamburg-Premiere. 100 bekannte Bilder lässt er an die Wand projizieren.

Lustspielhaus. Kaum hat sich sein Kollege Wilfried Schmickler ("Aufhören, Herr Becker, sofort aufhören!") ein letztes Mal in Rage geredet und als linguale Axt zugeschlagen, kommt er noch mal ins Bild. Mit einem verschmitzten Lächeln serviert Jürgen Becker im Kranz beiden Gästen Kölsch. Und das sind die namhaftesten und talentiertesten Satiriker der Republik. Seit 1992 bereits übernimmt Becker im Alten Wartesaal direkt unter dem Kölner Hauptbahnhof am Schluss der WDR-"Mitternachtsspitzen" auch die Rolle des Köbes, wie die Kellner in rheinischen Brauhäusern heißen.

Dass er die inzwischen älteste Kabarettsendung im deutschen Fernsehen auch noch im 25. Jubiläumsjahr präsentiert, hätte sich Becker vor zwei Dekaden auch nicht träumen lassen. Damals hatte er die Moderation vom gebürtigen Oberfranken Richard Rogler übernommen, der an der Universität der Künste Berlin hierzulande zum ersten Professor für das Fach Kabarett werden sollte.

Abgehoben ist weder der eine noch der andere. Auch Becker verlässt immer mal wieder seine Geburtsstadt, um solo zu touren. Der Kölner Kabarettist ("Jede Jeck is anders") genießt die Nähe zum Bühnenpublikum - auch zum vermeintlich unterkühlten Hamburger.

+++Der Mann für Kirche, Kölsch und Karneval+++

"Da woll'n mer uns mal 'nen schönen Abend machen", gehört zu seinen geflügelten Begrüßungsworten. Ironie zum Wochenbeginn, dass Becker ausgerechnet heute im Lustspielhaus Hamburg-Premiere mit seinem neuen Programm feiert, derweil parallel der 1. FC Köln mit dem gebürtigen Hamburger Holger Stanislawski als Trainer den FC St. Pauli zum Zweitligapunktspiel empfängt. Doch den 1. FC verfolgt Becker nur am Rande, obschon der Bundesligaabsteiger immer für die eine oder andere Pointe taugt: "Beim 1. FC bewahrheitet sich die rheinische Philosophie: erfolgreich scheitern. Eine große Kunst."

Nachhilfeunterricht für Rheinländer, Exil- und Nicht-Rheinländer, die Wassily Kandinsky womöglich für einen Neuzugang des 1. FC Köln halten, ist in seinem neuen Programm inbegriffen. In "Der Künstler ist anwesend" versucht Becker einen Bogen von der Kultur über die Religion bis zur Arterhaltung zu schlagen. Anders ausgedrückt: Bildende Kunst trifft Kleinkunst.

Becker kann das anschaulich erklären, auch aufgrund seines Vorlebens. Nach dem Realabschluss hatte er zunächst grafischer Zeichner bei 4711 - Kölnisch Wasser gelernt, dann auf dem Zweiten Bildungsweg ein Fachhochschulstudium der Sozialarbeit absolviert und sich mit einer Druckerei selbstständig gemacht. Besuche bei Programmen des legendären Hanns Dieter Hüsch animierten Becker Mitte der 80er-Jahre, es selbst auf der Bühne zu versuchen. Und die kabarettistische "Stunksitzung", deren Präsident Becker bis 1995 war, tat als Alternative zum Kölner Karneval ein Übriges.

Nach seinem Solodebüt "Biotop für Bekloppte", in dem Becker 2000 Jahre Kölner Stadtgeschichte auf seine ironische Art zusammenfasste, hat der Autor und Moderator längst weitere Dauerthemen entdeckt: Kapitalismus und Religion. "Da wissen Sie mehr als ich!", hieß Beckers Programm über das Mysterium des Rheinischen Kapitalismus. "Eine Gesellschaft muss darauf achten, dass es kapitalismusfreie Zonen gibt, die das Ganze stabilisieren", lautet eine seiner Erkenntnisse aus der Banken- und Finanzkrise. Und seine kabarettistische Götterspeise "Ja, was glauben Sie denn?" konnte und musste Becker dank der Entwicklungen im Christentum und Islam immer wieder aktualisieren. Auch dafür bekam er 2006 den Sonderpreis "Reif und Bekloppt" beim Bonner Prix Pantheon.

Im neuen Programm setzt sich Becker quasi selbst ins Bild, er schafft seine eigene Ausstellung. Dass er mit ausladendem Geweih, dicker Hornbrille und Zigarre wie in den WDR-"Mitternachtsspitzen" als "Heimathirsch" auftritt, ist nicht zu erwarten. Stattdessen lässt der Kabarettist gut 100 bekannte Bilder an die Wand projizieren. Die Reise führt von der Gotik über Romantik zum Barock. Becker verknüpft dabei Kunst mit Religion. Der Künstler sei wie Gott, meint er: "Du kannst ihn anhimmeln, aber nie befragen." Die Arbeiten des Künstlers sollten für sich sprechen. Trotzdem könne auch Kleinkunst bildende Kunst sein.

Wie im Fernsehen gibt Becker am Ende seiner Bühnenshow stets den Köbes - für die Zuschauer. "Ohne sie findet die Kleinkunst gar nicht erst statt", sagt Becker. In mitgebrachten Kränzen schenkt er dann Kölsch aus. Das gibt es ja auch in Hamburg nicht an jeder Ecke. Und mit dem Kalauer "Trinkt, sonst wird es Alt!", sollen hier sogar Düsseldorfer leben können.

" Der Künstler ist anwesend" HH-Premiere heute, 20.00, Lustspielhaus (U Hudtwalckerstraße), Ludolfstr. 53, Karten zu 19,- (erm. 13,-) bis 24,- unter T. 55 56 55 56; www.almahoppe.de