Drei alte Damen beweisen in “Spätlese“ viel komödiantisches Feuer. Keine der Figuren ist das, was sie auf den ersten Blick scheint.

Hamburg. Flott treiben es die drei alten Damen im Seniorenheim. Sie spielen Bridge, besuchen Begräbnisse oder legen den neuen knackigen Pfleger Tarek (Mohamed El-Asmar) beim Strippoker aufs Kreuz: "Das Collier gegen die Unterhose", lautet der Einsatz. Der Junge verliert und fleht Allah an, ihm die Blöße zu ersparen. "Geben Sie nicht so an und lassen Sie sehen", faucht die ehemalige Schauspielerin Josefine gnadenlos. Judy Winter gibt in der Komödie Winterhuder Fährhaus die Rampentigerin mit knallroten Haaren und Krallen, parodiert in Folke Brabands "Spätlese" nicht ohne Selbstironie eine aufgetakelte Diva, die das Leben mit Theater verwechselt und umgekehrt.

Der Autor benützt in seinem Stück zwar das Strickmuster des Boulevards, rutscht bei der Figurenzeichnung zuweilen auch ab in Klischee und alte Witze. Doch hört man dem Dialog-Ping-Pong in Jürgen Wölffers zügiger Inszenierung genauer zu, erweist es sich als Komödie mit ernsten Untertönen, als Spiel über Illusionen und Lüge, über die (Selbst-)täuschung im Leben wie im Theater. Josefines große Liebe ist der schwule Ex-Kollege Bruno, doch sie hat nie die Wahrheit akzeptiert. Die stille Maria (Hannelore Cremer) gab ihre Tochter als Baby zur Adoption frei und tröstet sich nun mit fremden Familienfotos. Die kindliche, von Demenz geplagte Agnes (Chariklia Baxevanos) lebt ohnehin in ihrer eigenen Wunschwelt, verwechselt die Fernsehwelt mit der Wirklichkeit.

Keine der Figuren ist das, was sie auf den ersten Blick scheint. Tarek erweist sich als Kleinkrimineller, den Brunos unerwarteter Auftritt davor rettet, die Hosen runterzulassen. Der weißhaarige Sugardaddy (Achim Wolff) sehnt sich auch nicht nach der besten Freundin Josefine, sondern ist hinter deren Geld her. Zuerst gibt es aber ein großes Wiedersehenstrara und pathetisches Rollenzitate-Gewitter zwischen den beiden alten Mimen.

Chariklia Baxevanos legt als "75-jährige Dreijährige" die tüdelige, im Rollator trippelnde Agnes nicht auf eine Altes-Mädchen-Karikatur fest, sondern lässt raffiniert offen, ob Agnes wirklich so vergesslich ist oder manchmal nur so tut. Unter dem Vorwand, Bruno für einen Arzt zu halten, wirft sie sich ihm an den Hals und reizt die eifersüchtige Provinzduse. Auch Hannelore Cremer bekommt ihren großen Auftritt, als unerwartet Marias verlorene Tochter (Astrid Kohrs) aufkreuzt.

Mit Biss, Charme und pointiertem Witz kosten die Schauspieler Brabands Komödie aus, lassen deren durchsichtiges Spiel mit dem Zufall vergessen und zeigen unterhaltsam: Alter schützt vor Liebe und Torheit nicht.

"Spätlese" bis 11.11., Komödie Winterhuder Fährhaus, Karten T. 48 06 80 80; www.komoedie-hamburg.de