Der Hamburger Andreas Stichmann gilt als großes Erzähltalent. Jetzt erscheint sein erster Roman “Das große Leuchten“ beim Rowohlt-Verlag.

Hamburg. Am besten, sagt Andreas Stichmann, sei wirklich die Sache mit den Büchern. Er trägt sie in aus allen Nähten platzenden Plastiktüten aus dem Rowohlt-Lager in Reinbek. Ohne etwas dafür zu bezahlen. Ganz schön toll, oder, Herr Stichmann? Herr Stichmann lächelt und sagt: "Ja, ganz schön geil." Wer bekommt nicht gerne umsonst Bücher.

Andreas Stichmann hat sehr blaue Augen, und auch sein Shirt ist blau. Aber blauäugig ist er nicht, er sagt: "Weil ich jetzt in einem großen Verlag erscheine, werde ich bestimmt auch mehr kritisiert." Stichmann, 1983 in Bonn geboren, ist Rowohlt-Autor. Das bringt ihm, neben tütenweise neuen Büchern, vor allem: viel Renommee und einen ganz neuen Aufmerksamkeitsgrad. Und darüber kann man ja mal reden in den Tagen vor Erscheinen des ersten Romans, der "Das große Leuchten" heißt. Die Leute im traditionsreichen Publikumsverlag Rowohlt setzen große Hoffnungen in ihren Jungautor, aber der hält erst mal den Ball flach. "Ich freue mich schon drauf, das gedruckte Buch in der Hand zu haben, aber Druck mache ich mir keinen."

Und doch wirkt er etwas nervös beim Gespräch in der Paulikantine, die am Rande des Karolinenviertels liegt und zu seinen bevorzugten Orten zählt. Hier kommt er mit seiner Kladde hin, um zu schreiben: Stichmann braucht nicht das stille Kämmerlein, um Poetenworte zu Papier zu bringen; allerdings ist, zugegebenermaßen, auch gar nicht so viel los hier gegenüber vom Schlachthof. In Stichmanns Roman sind die Helden sehr jung, und sehr jung kommt einem ihr Erfinder vor. In einer Viertelstunde raucht er drei Zigaretten, er berichtet von seiner Ausbildung am Literaturinstitut in Leipzig ("Es ist anders da, als alle denken - niemand zwingt einen zu einem bestimmten Stil"), er wirkt unruhig. So unruhig wie alle, die das meiste in ihrem Leben noch vor sich haben und vielleicht manchmal denken, nicht genug abzubekommen.

Und dabei ist Stichmann doch, merkwürdigerweise, sehr karg in dem, was er sagt. Er spart förmlich mit Worten. "Ich rede nicht so gerne", sagt er dazu, und man nimmt es ihm gar nicht übel: Dass er nicht gerne redet, und dass er das offen zugibt. Als Dichter hat er ja, klassischerweise, das Alleinsein gepachtet: Die Denkerklause, der arme Poet, die ewige Außenseiterposition - so weit die Klischees. Andererseits ist der Schriftsteller auch durchaus einer, der sich einmischt, und dann ist da ja noch unsere laute Mediengesellschaft, in der viele um das rare Gut Aufmerksamkeit konkurrieren. Da wird schon mal gebrüllt. Oder die große Bühne gesucht; und auf der kann man sich Stichmann eher nicht vorstellen.

Er hat den Literaturbetrieb mit seinen Gepflogen- und Eigenheiten inzwischen ganz gut kennengelernt. Stichmann hatte bislang einen Erzählungsband veröffentlicht, der noch im kleinen Altonaer Mairisch-Verlag erschien. Mit dem Wechsel zu Rowohlt rückte er dann ins Zentrum der literarischen Aufmerksamkeit: Im Juli nahm er beim Klagenfurter Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis teil. Das ist so eine Art Elchtest für Autoren: Wer es schafft, möglichst selbstbewusst aus einem bislang unveröffentlichten Stück eigener Prosa zu lesen und danach dem Urteil einer ebenso selbstbewussten Jury standzuhalten, der kommt durch. Wer nicht umfällt, macht seinen Weg.

"Als ich nach Klagenfurt fuhr, hatte ich vor, das alles nicht so ernst zu nehmen", erzählt Stichmann. Und das hat er dann genau so gemacht. Weshalb der 28-Jährige keinen Grund hatte, mit seinem Auftritt in Österreich unzufrieden zu sein, "ich kam ja eigentlich auch ganz gut weg". Er hat übrigens, sagt er, auch gelernt, dass man manchmal nicht nur sein Werk für sich sprechen lassen, sondern auch selbst etwas sagen darf. Also sagt er etwas, das es durchaus in sich hat: "Natürlich kommen die Frauen in meinem Buch nicht gut weg."

Kann man so sagen. In "Das große Leuchten" geht es hauptsächlich um Rupert, der wie sein Freund Robert unter Hippie-Bedingungen aufwächst und eine seltsame Mutter hat. Jedenfalls keine, die ihm Geborgenheit gibt. Dann verliebt er sich in Ana, die mutterlos aufwächst. Anas Mutter ist angeblich Kommunistin in Iran, und als Ana plötzlich weg ist, steigt Rupert ins Flugzeug, um sie zu suchen.

Stichmann war vor einiger Zeit wirklich im Iran - zum "Couch Surfing" mit seiner Schwester. Wer reisenderweise auf Wohnzimmermöbeln reitet, der schläft ja nicht in Hotels, sondern bei Privatleuten ohne Geschäftsinteressen. Die Iraner, sagt Stichmann, "sind sehr darauf aus zu zeigen, wie 'normal' ihr Leben ist, wie westlich orientiert". Trotzdem sei da ein Unbehagen, wenn man durch Teheran streife und Soldaten sehe: ein Land, in dem Politik das eine und das Private das andere ist. Die Iraner? Beinahe absurd gastfreundlich.

Und familienbewusst. In Stichmanns Roman, der den Leser in eine eigenartige Stimmung versetzt, ist Iran der Ort des Zusammenhalts. Menschen mit den gleichen Genen verstehen sich hier gut. Die Atmosphäre ist beklemmend und belustigend zugleich; "Das große Leuchten" ist auch deswegen gut, weil sein Humor so hintergründig ist.

Stichmann hat in Klagenfurt das stärkste Kapitel gelesen: Der Held steigt in das Haus einer Familie ein und empfindet dabei den Mangel seiner eigenen Existenz. "Es geht in meinem Buch um die Sehnsucht nach Familie und Geborgenheit", sagt Stichmann. Neu ist, das weiß er, die vorwurfsvolle Haltung der libertären, individualistischen Elterngeneration gegenüber nicht: Houellebecq etwa hat darüber geschrieben.

Er selbst, sagt Stichmann, stammt eher aus chaotischen Familienverhältnissen. Die Eltern leben ihr Leben, er lebt seines. Seit einigen Jahren in Hamburg: im Künstlerhaus Vorwerkstift auf St. Pauli. Drei Jahre darf man da wohnen, wenn man Künstler ist. Wahrscheinlich ist Stichmann der einzige Bewohner, der sich nicht nur der hehren Kunst verpflichtet fühlt. Manchmal arbeitet er mit Behinderten, als klassischer Sozialarbeiter. Er braucht das, als Abwechslung von der Schreibtischarbeit. "Und ich will das auch weiter machen, freiwillig, aus eigenem Antrieb", sagt er. Sein Hauptberuf sei das Schreiben: Stichmann ist selbstbewusst.

Warum auch nicht, er ist Rowohlt-Autor, das ist erste Liga.