Das Magazin “Landluft“ aus dem Wendland wagt den Spagat zwischen Lokaltitel und Qualitätsblatt. Chefredakteur ist ein früherer “Stern“-Autor

Gümse. Diese Anekdote sagt eine Menge über das Magazin "Landluft": Seine Blattmacher wollten für eine Titelgeschichte die Wirtin der Dorfkneipe des Fleckens Groß Heide fotografieren lassen. Bei der Suche nach einem Fotografen verfielen sie auf den Berliner Jim Rakete, der sonst nur Stars wie Nina Hagen, Til Schweiger oder Moritz Bleibtreu ablichtet. Tatsächlich nahm Rakete den Auftrag an. Sein Honorar bestand, so schrieb es zumindest "Landluft"-Verleger Christian Behning in seinem Editorial, aus einem Glas Schnaps der Marke Ratzeputz, das er noch vor Ort auf ex geleert habe.

Das hätte Behning besser nicht geschrieben. Denn seither wird er von Lesern darauf angesprochen, dass die Sache so nicht stimme. Statt des Schnapses sei Rakete als Entlohnung für seine lichtbildnerischen Dienste ein Bärenfang kredenzt worden, ein Likör aus Honig, Gewürzen und hochprozentigem Alkohol. Das wüssten sie deshalb so genau, weil sie dabei gewesen seien.

So ist das eben, wenn man im Wendland ein Blatt für das Wendland verlegt: Der Leser wohnt gleich um die Ecke und weiß es mitunter besser. Das Magazin "Landluft" ist aber mehr als nur ein Lokalblatt für ein recht malerisches Stückchen Erde im östlichen Niedersachsen. Denn für welches Käseblättchen würde ein Starfotograf wie Jim Rakete für ein Glas Bärenfang auf den Auslöser drücken? Und er ist ja nicht der einzige hochmögende Medienmensch, der für "Landluft" arbeitet. Zu den Autoren des Blattes zählen Büchner-Preisträger Arnold Stadler und Theodor-Wolff- und Kisch-Preisträger Kai Hermann ("Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"). Der ARD-Adelsexperte Rolf Seelmann-Eggebert schreibt für das Magazin ebenso wie Rolf Dieckmann, Humor- und Satire-Redakteur beim "Stern", der unter anderem für "Landluft" eine spezielle Version seines Tetsche-Cartoons entwickelt hat.

Wer wissen will, wie das Blatt tickt, das so ähnlich heißt wie die populäre "Landlust" und doch ganz anders ist, besucht am besten seinen Chefredakteur. Der heißt Heiko Gebhardt, wohnt in Gümse, einem Dorf bei Dannenberg, und blickt auf ein bewegtes Berufsleben zurück: Er war Reporter beim "Stern", Wahlkampfberater von Gerhard Schröder und berät, obwohl inzwischen 70 Jahre alt, den Schweizer Ringier-Verlag.

Gebhardt, der "Landluft" mit einem "VW mit Porsche-Motor" vergleicht, kennt Gott und die Welt. "Wenn ich Otto Sander in Berlin anrufe und ihn bitte, bei uns zu lesen, macht er sich sofort auf den Weg", sagt er. Viele der hochkarätigen "Landluft"-Autoren wohnen im Landkreis oder haben hier Ferienhäuser. Das Wendland zieht seit den 70er-Jahren wie kaum ein anderer Landstrich Intellektuelle an. Hierhin zog es auch Kai Hermann, "weil ich mir in Blankenese kein Haus leisten konnte".

Der Starautor sitzt mit Chefredakteur und Verleger unter alten Bäumen bei Wasser, Kaffee und belegten Brötchen. Behning, eigentlich Gastronom, erzählt von den Anfängen. Er war es, der die Idee für das Blatt hatte. Gebhardt war anfangs mäßig begeistert: "Ich habe ihm gesagt, er müsse Anzeigen für 120 000 Euro verkaufen", sagt der Chefredakteur, "und nicht geglaubt, dass er das schafft." Doch Behning schaffte es. Und so erschien die erste Ausgabe der "Landluft" im Frühjahr 2010. Seither sind nur zwei weitere hinzugekommen. Eine Ausgabe pro Jahr - das muss reichen. Mal schreibt Adelsexperte Seelmann-Eggebert über den Schützenkönig von Hitzacker, dann verfasst Kai Hermann eine Liebeserklärung an das Wendland. Ins Blatt kann alles, was mit dem Landkreis zu tun hat.

"Landluft" ist aber keine Veranstaltung älterer Herren. In der aktuellen Ausgabe schreibt Hermanns Tochter Nina unter dem Titel "Lady Gaga in der Scheune" über die örtliche Landjugend. Fotografiert hat dieses Stück Oscar Lebeck, der erst 18 Jahre alte Sohn des legendären Fotografen Robert Lebeck.

Die hohe Qualität des Blattes hat sich herumgesprochen. Knapp die Hälfte der verkauften Auflage von 15 000 Exemplaren wird außerhalb des Wendlands abgesetzt. Mittlerweile glaubt Gebhardt ebenso wie sein Verleger an das kommerzielle Potenzial des Konzepts: In diesem Frühjahr erschienen im Celler Land und im schwäbischen Remstal "Landluft"-Ausgaben. Während für die Celler Ausgabe viele Autoren der "Landluft"-Keimzelle schrieben, zeichnete für den schwäbischen Ableger das renommierte Journalistenbüro Zeitenspiegel verantwortlich. Die journalistische Oberaufsicht hat allerdings auch hier Gebhardt, der bereits Ausgaben für zwei weitere Landkreise plant. Den Titel "Seeluft" hat er sich mit seinem Verleger übrigens auch schon gesichert. Man kann ja nie wissen.