Toke Constantin Hebbelns Regiedebüt “Wir wollten aufs Meer“, das gerade beim Festival in Toronto lief, kommt jetzt auch bei uns ins Kino

Cornelis (Alexander Fehling) und Andreas (August Diehl) sind dicke Freunde. Ihr Ziel ist das Tor zur Welt, genauer gesagt der Ausgang Ost, denn ihre Geschichte spielt in den 80er-Jahren in der DDR. Der einzige internationale Hafen des Landes und zugleich Sitz der Handelsmarine, war Rostock. Dorthin zieht es Cornelis und Andreas, weil sie die Welt sehen wollen. Aber ihre Geduld und ihre Chance, auf große Fahrt zu gehen, werden auf eine harte Probe gestellt. Immer wieder werden sie vertröstet, jahrelang schuften sie als Hafenarbeiter. Dann scheint sich eine Tür zu öffnen, aber sie müssten ihren Brigadier Matze (Ronald Zehrfeld) verpfeifen, um selbst die Freiheit zu gewinnen.

Ein episches Drama um Freundschaft und Verrat ist "Wir wollten aufs Meer", das Regiedebüt von Toke Constantin Hebbeln. Er wurde damit gleich von Cameron Bailey eingeladen, dem Chef des renommierten Filmfestivals in Toronto. Am Wochenende wurde der Film dort gezeigt, am Donnerstag kommt er bei uns in die Kinos.

Dreieinhalb Jahre hat Hebbeln, der aus Itzehoe stammt, an dem Projekt gearbeitet. Unterstützt hat ihn dabei sein Mentor, der Produzent Nico Hofmann, bei dem der Norddeutsche an der Filmakademie in Ludwigsburg auch studiert hat. Ungewöhnlich: Hofmann schickt dem Film ein Grußwort hinterher, in dem er von der "unglaublichen Präzision und Kraft, Projekte anzugehen" seines Regisseurs schwärmt. Schon vor fünf Jahren konnte Hebbeln mit "Nimmermeer" den Studenten-Oscar gewinnen. Die Messlatte liegt also hoch.

Die erste Idee kam vom Koautor des Drehbuchs, Ronny Schalk. Der kommt zwar eigentlich aus Sachsen-Anhalt, fuhr aber mit seinem Opa an die Ostsee und wollte dort gern mit ihm in den Ferien ein Boot bauen. "Du kannst es bauen, aber du wirst damit nicht fahren können. Du kommst nur bis zum Horizont, da ist die Grenze, da geht es nicht weiter, dort ist unser Land zu Ende", sagt sein Großvater. Dort, wo es nicht weiterging, fing es an, für Hebbeln interessant zu werden. Er hatte das Thema für seinen Film gefunden. Das Drehbuch schrieb er mit Schalk zusammen. Beide waren oft in Rostock, haben dort mit Matrosen gesprochen und vieles über die DDR-Marine gelernt. "Für mich waren Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit immer gelebte Realität. Ich wusste natürlich von der Fürsorgediktatur in der DDR. Aber wenn man anfängt, sich nicht aus Büchern, sondern über Zeitzeugen mit der deutsch-deutschen Geschichte zu beschäftigen, wird einem bewusst, was das im konkreten Leben bedeutete."

"Wir wollten aufs Meer" erzählt von der tragischen Entwicklung einer Freundschaft, die durch den Druck und die Intrigen der Stasi zerbricht. Als einer der ersten deutschen Filme zeigt das Drama längere Passagen, die das Innenleben von DDR-Gefängnissen zum Thema haben. Hebbeln wollte sie so realistisch wie möglich gestalten, sprach mit Ex-Insassen und stieß auf konträre Reaktionen. "Entweder legten sie sieben Siegel über die Vergangenheit und wollten bloß nicht darüber reden. Oder sie erzählten Geschichten über Einzelhaft und Psychofolter, dass einem der Atem stockte. Es hat mich beklommen gemacht." Toke Constantin Hebbelns Debüt hat zwar einige Längen und Schwächen in der Charakterisierung der Protagonisten, aber er stellt große Fragen: Wie kann man historische Schuld verzeihen? Wie hätte man sich selbst verhalten? In seiner Thematik hat er eine gewisse Nähe zu "Das Leben der Anderen". Das wird besonders in einer Szene deutlich, in der Andreas als IM der Stasi Oppositionelle aushorchen soll und dabei einen Kopfhörer trägt wie Ulrich Mühe im Oscar-gekrönten Drama von Florian Henckel von Donnersmarck. Hebbeln hat das gemerkt, sein Team reagierte alarmiert. "Wir haben es dann dringelassen, denn ich mag den Donnersmarck-Film. Florian war damals sehr freundlich zu mir, als ich den Studenten-Oscar gewonnen habe, kurz nach seinem eigenen großen Erfolg. Sein Film ist ohnehin die Marke, an der man international nicht vorbeikommt."

International ist ein gutes Stichwort, denn im Ausland ist man bereits auf den 1978 geborenen Regisseur aufmerksam geworden. Von dort liegen ihm zurzeit mehr Drehbücher vor als aus Deutschland. Seine Auswahlkriterien für neue Projekte: "Die Figuren müssen mich interessieren. Ich mag vor allem Filme, die den Grenzbereich zwischen dem Privatem und Politischen ergründen." Aber Hebbeln will deshalb jetzt nicht Deutschland verlassen. Auch dafür, wie schwierig ein Start in den USA sein kann, ist Donnersmarck ein Beispiel. Hebbeln, der in Berlin lebt, hat immer noch ein Faible für den Norden. "Ich kann der Landschaft und den Leuten da oben sehr viel abgewinnen und würde gern mal einen echten Schleswig-Holstein-Film machen, vielleicht auch ein bisschen komödiantisch."

Die Szenen, die im Film im Rostocker Hafen spielen, wurden in Hamburg gedreht, weil das Team an der gesamten Ostseeküste keinen Hafen fand, der noch den gewünschten 80er-Jahre-Look aufwies. Den fanden sie schließlich im Hansahafen am Bremer Kai bei den 50er-Schuppen. Im Hintergrund sieht man die "Bleichen" liegen.

Bleibt natürlich die Frage, was denn für Hebbeln das Tor zur Welt ist. "Als Kind war es für mich der Hamburger Hafen. Für diesen Film ist es Toronto."